Folge 95: Die Wildnis ruft
Drehbuch: Phil Doran



OPENING TITLES
OPENING SEQUENCE
Es ist früh am morgen, noch nicht einmal richtig hell. Ein Hahn kräht. JACK, WAYNE und KEVIN kommen, eine Menge Ausrüstungsgegenstände tragend, aus dem Haus und gehen zum Auto, das in der Einfahrt wartet.

ERZÄHLER: Seit es Väter und Söhne gibt, gibt es Traditionen zwischen Vätern und Söhnen, Rituale, die die Männer an die Jungen binden - und die Jungen an die Männer ketten. In meiner Familie gab es eine Tradition, die in der Wucht der mit ihr verbundenen Rituale alles andere übertraf: Der alle drei Jahre stattfindende dreitägige Angeltrip der Arnolds.

[JACK verstaut das Angelzubehör im Kofferraum. WAYNE und KEVIN stehen müde hinter ihm.]

JACK: Habt ihr alles ?

WAYNE: [müde] Ich glaube schon.

JACK: [brummt] Ich werde nachsehen.

ERZÄHLER: Alle paar Jahre sammelte Dad auf dem Dachboden die Angelruten, Stiefel und sein altes Armeezelt zusammen und fuhr mit uns übers Wochenende zu den Berninger Falls - ob wir wollten oder nicht !

JACK: Okay. [schließt den Kofferraum] Das sieht doch vollständig aus ! Seid ihr beide fertig ?

WAYNE: Nein. [JACK sieht ihn strafend an] Ja.

KEVIN: Klar Dad, wir sind fertig.

JACK: Gut. Dann kann's ja losgehen.

ERZÄHLER: In jenem Herbst, 1972, starteten wir zu unserem ersten Ausflug seit ich dreizehn war.

[KEVIN und WAYNE strecken beide die Hand nach dem Griff der Beifahrertür aus.]

WAYNE: [selbstsicher] Ich sitz vorn.

KEVIN: [verärgert] Ich sitz vorn !

JACK: [wütend] Steigt jetzt endlich ein !

WAYNE: [beleidigt] Bitte ! Dann sitz ich eben hinten ! Trottel ! [öffnet die Tür, springt auf den Rücksitz, legt sich lang und lacht KEVIN schadenfroh an.]

KEVIN: Blödsack ! [steigt ein. JACK startet den Motor]

ERZÄHLER: Es ist komisch: Von allen Ausflügen, die wir je gemacht haben, erinnere ich mich an diesem am besten. Nicht, weil es der schönste war, oder der schlimmste ...

[JACK fährt langsam aus der Einfahrt und ist gerade einige Meter weit gekommen ...]

WAYNE: Sind wir bald da ?

JACK: Wayne !

WAYNE: War ja bloß 'ne Frage !

ERZÄHLER: - sondern weil es der letzte war !

EXT. TAG. BERNINGER FALLS
Alte Videoaufnahmen aus der Zeit, als KEVIN vielleicht sieben Jahre alt war. Er angelt mit WAYNE und JACK, sie amüsieren sich, essen Fisch, albern rum, schlafen in JACKs altem Armeezelt.

ERZÄHLER: Die Berninger Falls - frische Luft, Bäume, ein Natur-Eldorado für den Vorstadtmenschen, wo sich Männer unter Männern wohlfühlen konnten - sofern Männer da waren. Es war ein Ort, wo Väter Väter sein konnten und Kinder Kinder, wo Väter und Söhne alles miteinander teilten, zusammen waren: Drei Mann in einem Zelt !

INT. MORGEN. AUTO
JACK fährt, KEVIN sitzt auf dem Beifahrersitz und blickt auf die Karte. Währenddessen begutachtet WAYNE auf dem Rücksitz die Anglerausrüstung, schnuppert an Ködern, betastet die Spitzen der Haken. Im Radio spielt laute, "moderne" Musik.

ERZÄHLER: Aber um dorthin zu kommen, waren wir dummerweise erstmal drei Mann in einem Auto !

WAYNE: [zu JACK] Kannst du nicht noch ein bißchen langsamer hier langfahren ?

JACK: Ich weiß gar nicht, was du von mir willst ! Ich fahre 55 !

WAYNE: [ironisch] Whoa ! [JACK schüttelt bloß leicht den Kopf]

ERZÄHLER: Nicht, daß Nörgeleien während der Fahrt etwas Neues für uns waren !

JACK: Kevin, ich sagte, stell diese Musik leiser !

KEVIN: [genervt] Wieso denn ?

JACK: Weil sie zu laut ist !

KEVIN: Ist sie gar nicht !

[JACK blickt KEVIN scharf an, und schließlich stellt KEVIN mit einem verärgerten Schnaufen die Musik leiser.]

ERZÄHLER: Trotzdem war diesmal irgendetwas anders. Es war schwer zu sagen, was es war.

WAYNE: Wessen Idee war dieser blöde Ausflug eigentlich ?

JACK: Was soll das schon wieder bedeuten ?

WAYNE: Was wollen wir überhaupt da draußen ?

ERZÄHLER: Wenn es um Fragen kosmischer Dimensionen ging, war unser alter Herr glücklicherweise ein Profi.

JACK: Ich konnte euch 'n Tag lang rausboxen, ich konnte mich 'nen Tag lang rausboxen - nun wird geangelt, und ich will nicht weiter diskutieren ! Ist das klar ?

KEVIN: [leise] Ganz klar.

ERZÄHLER: In Anbetracht der Situation war dieser Grund wahrscheinlich so gut wie jeder andere.

[JACK beginnt, vor sich hin zu pfeifen.]

ERZÄHLER: Letztendlich war das ganze ein Ritual, das war eine Tradition, das war ...

[JACK bremst und hält den Wagen an. Vor ihnen befindet sich ein kleines Häuschen mit einem großen Schild über der Tür: "Ed's Bait"]

JACK: Ed's Anglerladen ! Erinnert ihr euch noch ?

INT. VORMITTAG. ED'S BAIT
JACK, WAYNE und KEVIN betreten den Laden. Eine Türglocke kündigt sie an.

ERZÄHLER: Ed's Anglerladen - der letzte Vorposten vor der Wildnis ! Larven, Würmer, Maden. [ironisch] Welcher Junge hätte das vergessen können !

JACK: Okay, wir trennen uns. Wir brauchen Haken, Stiefel, Blinker (??) und Köder.

[KEVIN und WAYNE gehen los, bleiben aber nach drei Schritten wie angewurzelt stehen. Sie drehen sich zu JACK um.]

ERZÄHLER: Augenblick mal !

WAYNE: Äh, Dad, wie wär's mit 'n paar Vorräten ?

JACK: Vorräte ?!

KEVIN: Ja. Etwas zu essen.

JACK: Was soll das ? Wir brauchen keine Vorräte - wir essen Fisch ! [abfällig] Kauft Bohnen !

WAYNE: Ja ! Und Bier !

KEVIN: Ja ! [machen sich auf den Weg]

ERZÄHLER: Ja !

JACK: Und Cola für Kevin !

[KEVIN bleibt wie angewurzelt stehen. Ein Surren ertönt, wie wenn jemand in einer Spielshow eine Frage falsch beantwortet hat.]

ERZÄHLER: [beleidigt] Augenblick mal !

KEVIN: [dreht sich um] Dad ! Ich bin 16 Jahre alt !

JACK: Ja und ?

KEVIN: Na ja ... Ich fall nicht um von einem Bier !

ERZÄHLER: Um das gleich von Anfang an klarzustellen !

JACK: Bitte ! [KEVIN dreht sich erfreut um; zu WAYNE] Kauf ihm Malzbier !

[Szenenwechsel ohne Überleitung: Die leere Ladentheke. JACK stellt einen Korb darauf, KEVIN und WAYNE stellen einige Dosen daneben.]

ERZÄHLER: Die Tradition brachte offenbar auch einige Rückschläge mit sich.

VERKÄUFERIN: Tag ! Ist das alles ?

ERZÄHLER: Und nicht nur für mich !

[JACK blickt die VERKÄUFERIN verwirrt. KEVIN und WAYNE sind nur ein wenig überrascht.]

JACK: Wo ist Ed ?

VERKÄUFERIN: Ed ??

JACK: Sie wissen schon - Ed ! Der Ladenbesitzer, ein netter alter Kerl !

VERKÄUFERIN: [beginnt abzurechnen] Ach ! [beiläufig] Der ist gestorben. Ein Bootsunfall. Vor ein paar Jahren.

ERZÄHLER: Mmh ...

WAYNE: Na ja - Sie können ihn ja trotzdem grüßen !

VERKÄUFERIN: So so, Sie wollen 'n bißchen angeln !

JACK: [stolz] Ja !

ERZÄHLER: Glücklicherweise nicht vom Boot aus !

JACK: Wir fahren bis zu den Berninger Falls ! Da draußen kennen wir 'ne ganz versteckte Ecke !

VERKÄUFERIN: [bedauernd] Oh. Da kommt man jetzt nicht mehr hin. Und wenn, dann nur ohne Wagen. Die Straße wurde letzten Sommer geschlossen. Da müssen Sie wohl zu Fuß gehen. 8 Meilen !

ERZÄHLER: Das war ein gewaltiger Rückschlag - für die Traditionen, für unsere Erinnerungen !

JACK: Na ja ... Wir wollen trotzdem hin.

ERZÄHLER: Aber nicht für meinen Vater.

INT. VORMITTAG. BERNINGER FALLS
Zurück im Auto - jedoch nicht auf der Landstraße. JACK manövriert den Wagen auf geradem Weg zum Ziel, also durch den Wald, über Steine und umgekippte Baumstämme, zwischen Sträuchern und Bäumen vorbei. Pausenlos fliegen Blätter und Äste vor die Scheiben.

ERZÄHLER: Was soll's - wir waren Camper, keine Wanderer !

[WAYNE schreckt zurück, als ein Ast sein Fenster streift, das er unvorsichtigerweise heruntergekurbelt hat - genau wie KEVIN und JACK ihre.]

WAYNE: Das glaub ich einfach nicht !

KEVIN: Dad, weißt du genau, was du da tust ?!

JACK: Was habt ihr euch denn so ! Das sind nur ein paar kleine Zweige !

ERZÄHLER: Dabei war es eher ein ganzer Wald !

WAYNE: Äh, Leute, ich glaube, wir sollten das Unternehmen abblasen und lieber nach Hause fahren, oder ?

[KEVIN sieht JACK hoffnungsvoll an.]

KEVIN: Ja, da hat er wohl recht !

ERZÄHLER: Uns beiden war das sonnenklar: Manches soll nunmal nicht sein !

JACK: Nun seid nicht albern ! Wir sind bis hier gekommen - wir werden nicht umkehren !

KEVIN: Dad, wir wissen nicht mal, wo wir sind !

JACK: Das wissen wir ganz genau ! Ich verliere nie die Orientierung.

ERZÄHLER: Dank Dads innerem Kompaß und einer gehörigen Portion Glück ...

[Der Wagen kämpft sich noch einmal zwischen den dichten Blättern eines Baumes hindurch - und kommt dann zum Stehen. Vor JACK, WAYNE und KEVIN liegt ein stiller, kleiner Fluß, mitten im Wald. Vögel zwitschern, kein Mensch ist weit und breit zu sehen - eine richtige Idylle.]

ERZÄHLER: ... kamen wir schließlich an. Drei Stunden später !

JACK: So, wir sind da.

WAYNE: [enttäuscht] Oh. Gut.

KEVIN: [leise] Ja. Großartig.

JACK: Und ? Was sagt ihr, ha ?

ERZÄHLER: Was sollten wir schon sagen ! Man hatte uns aus unseren Betten heraus verschleppt, durch den Wald geschleift und hier abgeladen ! Und wofür ?

JACK: Es ist vollkommen, nicht ? Es ist genau wie früher.

ERZÄHLER: Das komische war: In diesem Moment - aus Dads Blickwinkel betrachtet -, erschien uns dieser dämliche kleine Ort ... gar nicht mal übel.

WAYNE: [ehrlich] Es ist okay.

KEVIN: [überrascht] Gar nicht schlecht.

ERZÄHLER: Darauf gab es nur noch eins zu sagen:

JACK: Legen wir los ! Es wird Zeit ! [steigt aus]

[Kurz darauf. KEVIN und WAYNE helfen JACK, alles auszupacken und das Zelt aufzubauen.]

ERZÄHLER: Also machten wir uns an die Arbeit, schlugen mitten in der Natur unser Lager auf, folgten dem Ritual, das wir seit unserer Kindheit kannten. Es war merkwürdig: Das alte Zelt aufzubauen war so, als hätten wir ... die Zeit zurückgedreht ! Und irgendwie brachte uns diese Arbeit etwas wieder, das wir fast vergessen hatten:

[Abend. Die Grillen zirpen, es ist längst dunkel. Auf einem kleinen Feuer steht eine Pfanne, KEVIN, WAYNE und JACK sitzen mit Aluminiumtellern um das Feuer herum.]

ERZÄHLER: [abfällig] Bohnen !

JACK: Das ist ein Leben, was ? Keine Sorge, morgen stehen wir früh auf und fangen massenhaft Fische - oder ?

KEVIN: Klar, Dad.

[WAYNE rülpst bloß. JACK sieht ihn verärgert an.]

ERZÄHLER: Es war klasse ! Wie in alten Zeiten ! - In guten Zeiten ! Wir saßen am Lagerfeuer und Dad und ich machten Wayne beim Kartenspielen fertig !

WAYNE: Gin ! [legt seine Karten auf den kleinen Holzblock, der als Spieltisch dient]

KEVIN: [ungläubig] Was ?!

ERZÄHLER: Das war so, als würde man entdecken, daß ein Hamster Integralrechnung beherrscht !

WAYNE: Dad, schmeiß mal 'n Bier rüber, ja ?

KEVIN: Ja, mir auch.

[JACK blickt ihn schief an, WAYNE grinst schadenfroh.]

ERZÄHLER: Was soll's - versuchen kann man's ja mal !

KEVIN: Nicht so wichtig.

JACK: Wißt ihr - ich habe nachgedacht: Irgendwann werf ich ihn hin, den ganzen Kram, such ein nettes Plätzchen für's Alter - wie das hier ! Wir bauen uns ein kleines Blockhaus - muß ja nicht perfekt sein.

ERZÄHLER: Es war der alte Traum, von dem Dad gesprochen hatte seit ich drei war.

JACK: Wir könnten im April herkommen und bleiben bis es anfängt zu schneien. Dann angeln wir den ganzen Sommer über und könnten von unserem Fang leben.

ERZÄHLER: Es war wie eine Litanei: Wir hatten das alles schon hundertmal gehört - aber an diesem Abend, aus irgendeinem Grund ...

Anmerkung: Eine Litanei ist ein Wechselgebet zwischen einem Geistlichen, dem Vorbeter, und der Gemeinde.

WAYNE: Und was wird aus deiner Hypothek ? [kurze Pause]

JACK: Was hat die damit zu tun ?

WAYNE: Na ja ... Schuldest du der Bank nicht noch 'n Batzen Geld ?

KEVIN: Ja, wir machst du das finanziell ? Rechnet sich das bei dem ... was du verdienst ?

ERZÄHLER: Im Nachhinein betrachtet paßten unsere Bemerkungen vielleicht nicht gerade in die Stimmung des Augenblicks ...

[WAYNE lacht und legt seine Karten auf den Holzpflock.]

WAYNE: Gin ! [lacht vor sich hin] Noch 'ne Runde, hä ?

JACK: Äh ... ich glaube nicht. Wir sollten uns lieber auf's Ohr legen.

KEVIN: Ja, klar. Sicher, Dad.

ERZÄHLER: Gute Idee ! Wenn auch die Stimmung am Lagerfeuer etwas gedämpft gewesen war, hatten wir's jetzt im Zelt wenigstens gemütlich.

[JACK, WAYNE und KEVIN krabbeln ins Zelt und legen sich hin. JACK liegt in der Mitte. Allerdings ist es etwas eng...]

KEVIN: Hey !

WAYNE: Hab dich nicht so ! [KEVIN schüttelt sein Kissen aus] Vorsichtig !

[Ansicht des Zeltes von außen.]

WAYNE: Dad, hast du zugenommen ?

JACK: Wayne !

[Wieder drinnen...]

WAYNE: [zu KEVIN, schimpft] Hey, das ist mein Platz ! Runter von meinem Platz ! Los !

JACK: [in der Mitte liegend; wütend] Wartet ! Wartet mal ! Jetzt denkt in Ruhe nach ! [verwirrt] Was ist passiert ? [Schweigen]

ERZÄHLER: Aber man mußte kein Genie sein, um es sich auszurechnen: Einfach ausgedrückt, wir waren 16 m2 Familie ... in 6 m2 Zelt ! Was auf eines hinauslief:

KEVIN: Wessen Idee war dieser blöde Ausflug eigentlich ?

WAYNE: Wären wir doch nur in ein Motel gegangen !

JACK: Wayne !

WAYNE: Wißt ihr was - ich schlafe draußen.

KEVIN: Nein, ich schlafe draußen.

JACK: Nein - ich schlafe draußen.

ERZÄHLER: Was natürlich die einzige Lösung war.

[JACK ist auf dem Weg nach draußen - als es plötzlich donnert. Zuerst folgt der Blitz - und dann der Regen. Es gießt in Strömen.]

ERZÄHLER: Und in dem Augenblick war sie uns allen klar, die grausame, ungeschminkte Wahrheit: Wir saßen in der Falle, waren gefangen - drei Mann in einem Zelt ! Ohne Ausweg. Doch damit nicht genug !

KEVIN: Dad ...

JACK: Ja ?

KEVIN: Das Zelt hat ein Loch.

[Der nächste Morgen. Es ist hell, es hat aufgehört zu regnen. Die Arnolds stehen am Ufer des kleinen Flußes und angeln.]

ERZÄHLER: Am nächsten Morgen hatten sich die Wolken verzogen. Durch irgendein physikalisches Wunder hatten wir die Nacht überstanden. Lebend ! Und als die Sonne aufging, machte sich in der Männerbrust der Arnolds wieder Hoffnung breit. Schließlich war das unser Angeltrip ! Es war eine Tradition ! Es war ... das Paradies für Blutsauger.

WAYNE: Haben wir kein Insektenspray mehr ?

KEVIN: Ist uns vor 'ner Stunde ausgegangen.

ERZÄHLER: Das einzige, was hier beißen wollte, waren offenbar die Moskitos ! Es wurde Zeit, auf eine alte Methode zurückzugreifen, die von Anglern in Not gern angewandt wird:

JACK: [zu KEVIN] Wenn du nicht weiter auswirfst, dann fängst du unter Garantie nichts !

ERZÄHLER: Dem Nebenmann gute Ratschläge geben !

KEVIN: Das kannst du mir überlassen - ich weiß, was ich tue.

ERZÄHLER: Dabei hatte ich nicht die geringste Ahnung !

KEVIN: Dad ! Da hat einer angebissen !

JACK: Soll ich dir helfen ?

KEVIN: Nein, ich hab ihn, danke.

ERZÄHLER: Jawohl, ich hatte ihn, den ersten Fang des Tages !

JACK: Langsam einholen. Langsam einholen !

ERZÄHLER: Er war groß ! Groß, bösartig und zäh !

[KEVIN zieht einen alten, zerfetzten Reifen aus dem Wasser.]

ERZÄHLER: [enttäuscht] Es war total erniedrigend.

[WAYNE und JACK lachen leise.]

WAYNE: [lachend] Ich persönlich würde ihn wieder reinschmeißen - er ist platt !

JACK: [lachend] Nein, er kommt an die Wand, da sieht er sicher gut aus !

ERZÄHLER: Sehr komisch !

[KEVIN wirft den Reifen zurück und watet durch das Wasser.]

WAYNE: Hey Kev ! Ich hab gehört, die Reifen beißen hier wie irre !! [lacht]

KEVIN: Halt's Maul, Blödsack !

[KEVIN geht einen Schritt weiter - und versinkt bis zur Hüfte im Wasser.]

ERZÄHLER: Also schön - wenn sie es unbedingt so haben wollten ! Ich konnte auch mit harten Bandagen kämpfen. Und wenn ich vielleicht auch keinen Fisch fangen konnte, hatte ich immernoch die Chance, mir einen 140 Pfund schweren Klugscheißer zu angeln.

[WAYNE kichert vor sich hin.]

KEVIN: Hey Wayne ! Komm mal hier rüber - ich muß dir was zeigen, das ist wirklich toll !

WAYNE: Ja ?

KEVIN: Ja, sieh dir das an !

WAYNE: Gut, in einer Sekunde.

ERZÄHLER: [lacht schadenfroh] Hehe ! Es war gemein, es war hinterhältig, es war unwiderstehlich !

JACK: Was ist denn, Kev ? Hast du was gefunden ?

KEVIN: Oh, nein. Nein, Dad, es ist nichts. Es ist für Wayne. Wayne !

JACK: [watet durch das Wasser zu KEVIN] Nein, warte. Ich will's auch sehen.

ERZÄHLER: Oh oh !

KEVIN: [schreit] Nicht doch ! Dad !!

[Zu spät. JACK kommt immer näher. Als er KEVIN beinahe erreicht hat, stürzt er. Die Kamera zeigt in Zeitlupe, wie er fällt und schließlich ganz unter Wasser verschwindet. Nur sein Anglerhut schwimmt noch oben und einige Luftblasen steigen auf... WAYNE stutzt einen Moment, fängt an zu kichern und bekommt schließlich fast einen Lachkrampf.]

KEVIN: [besorgt] Dad ? Dad ??

[Später. KEVIN beobachtet JACK, der ohne ein Wort zu sagen seine nasse Kleidung auswringt und über das Zeltdach legt.]

KEVIN: Es tut mir wirklich leid.

JACK: [verärgert] Ja.

KEVIN: Weißt du, ich hab nicht gewollt, daß das passiert.

JACK: Aha.

KEVIN: Ich hoffe, du bist nicht böse.

ERZÄHLER: Er war immerhin mein Vater. Wenn jemand die komische Seite daran sehen würde, dann er !

JACK: [schimpfend] Was hast du dir bei diesem Blödsinn eigentlich gedacht ?! Dabei hätte sonstwas passieren können !

ERZÄHLER: Schön. Ich wußte, was ich ihm schuldig war: Eine ehrliche Entschuldigung - direkt, einfach, aufrichtig.

KEVIN: Tut mir leid, Dad. Ich hab dich warnen wollen, du ... du warst da und ... [lächelt] dann warst du weg. [grinst]

ERZÄHLER: Vielleicht war es der Schlafmangel, vielleicht war es auch Dads Anblick, wie er in seiner nassen Unterhose dastand ...

KEVIN: Und es ... tut mir auch leid, daß du dabei deinen Hut verloren hast. [zögert] Aber der hat inzwischen sicher 'ne Menge gefangen ! [JACK blickt ihn böse an und wringt weiter seine nasse Kleidung aus]

ERZÄHLER: Es war fürchterlich ! Je wütender er wurde, desto komischer fand ich alles ! Und dann ...

WAYNE: [ruft] Hey Leute ! Das ist 'n Fisch, das is 'n Fisch !!

ERZÄHLER: Gerade als ich im Begriff war, umgebracht zu werden ...

JACK: [aufgeregt] Hol das Netz !

ERZÄHLER: ... kam die Rettung !

JACK: Schnell das Netz !! [KEVIN sucht es unter den Pfannen und den anderen Ausrüstungsgegenständen. Er findet es schließlich und rennt zu WAYNE. Gleichzeitig kommt JACK mit einem Korb an.]

ERZÄHLER: Plötzlich wußten wir wieder ganz genau, wofür wir hergekommen waren.

JACK: [rennt nochmal weg] Ich zieh mir nur meine Hose an !

ERZÄHLER: Es spielte keine Rolle, daß Wayne als erster Erfolg hatte - wir verschmolzen zu einer Einheit. Wie eine gut geölte Maschine arbeiteten wir zusammen um unsere Aufgabe glorreich zu vollenden.

[Schließlich ziehen sie den wild um sich schlagenden Fisch doch noch aus dem Wasser und legen ihn vorsichtig in den Korb, der neben ihnen im Sand steht.]

WAYNE: [lacht] Mann, guckt euch diesen Riesen an !

KEVIN: Ja, der wiegt mindestens zwölf Pfund !

JACK: Der Bursche war 'n harter Brocken, hä ?!

WAYNE: War das Vieh stark - ich hab gedacht, der reißt mir den Arm ab !

ERZÄHLER: Endlich hatten wir das, auf das wir gewartet hatten, etwas, wovon wir noch unseren Enkeln erzählen konnten ! Wir hatten einen Dreißigpfünder gefangen ! Gemeinsam !

[Der Fisch schlägt weiterhin um sich. JACK, WAYNE und KEVIN sehen ihn stolz an - bis er den Korb umwirft und hastig davonschwimmt. Die drei sehen ihm hilflos und enttäuscht hinterher. Später, am Abend. Es brutzelt in der Pfanne, die über dem Lagerfeuer steht. Die drei sitzen darum herum.]

WAYNE: [angewidert] Schon wieder Bohnen ! Das faß ich nicht !

ERZÄHLER: Seien wir ehrlich: Wir waren Versager. Als Camper, als Angler - als Männer.

WAYNE: Ich weiß die Lösung ! Wir kochen einfach Kevins Fang ! Nichts ist leckerer als am Lagerfeuer gebratener Sommerreifen ! [lacht] Oder wie wär's mit Stahlgürtelfilet ? [JACK lacht mit]

ERZÄHLER: Von Komikern mal ganz zu schweigen !

KEVIN: Wirklich witzig ! Ich hoffe, daß ihr euch gut amüsiert !

ERZÄHLER: Denn ich amüsierte mich nicht ! Ich hatte die Nase voll !

[KEVIN steht auf und geht an JACK vorbei zu dem kleinen Baumstamm, auf dem die Getränke stehen.]

JACK: Sekunde - was suchst du da ?

KEVIN: Ich nehm mir ein Bier !

JACK: Kevin ...

KEVIN: Dad ! Ich bin erschöpft, mir ist heiß und ich hab die Cola satt ! Deshalb trink ich ein Bier, okay ?!

ERZÄHLER: Da war sie, eine Herausforderung, die nicht mal Dad ignorieren konnte !

JACK: Jungs ... [denkt lange nach] ... möglicherweise benutzen wir einfach nur den verkehrten Köder ! Das Zeug, das man im Laden kauft, taugt doch nichts. Ich sag euch, wenn hier erstmal mein Häuschen steht, dann wird das aber anders !

ERZÄHLER: Das war doch nicht zu fassen ! Ich tat mein Bestes, um meine Männlichkeit unter Beweis zu stellen und dieser Kerl ignorierte mich einfach ! Als wäre ich ein kleines Kind ! Das ließ ich mir nicht mehr bieten !

KEVIN: Hör auf damit, Dad ! Bitte !

JACK: Was ?

KEVIN: Dieses ganze Gerede mit deinem Blockhaus - du wirst niemals hier raufziehen, nicht mal in tausend Jahren ! [JACK schweigt und blickt KEVIN betrübt und enttäuscht an]

JACK: Ach so ist das.

ERZÄHLER: Das war vielleicht das Gemeinste, was ich je zu ihm gesagt habe, aber in dem Augenblick war es mir egal. So wie ich es sah, war es nur gerecht, den Spieß umzudrehen.

[KEVIN öffnet die Bierdose, die er sich genommen hat. Mit einem lauten Zischen sprüht ihm das Bier entgegen, Schaum fließt die Dose hinunter und KEVINs Hemd wird klitschnaß. WAYNE lacht sich halbtot.]

WAYNE: [lachend] Ich glaub's einfach nicht - das war echt klasse ! Hey Kev, dieses Bier hier geht auf dich !

KEVIN: Hey, laß das ! Finger weg !

[WAYNE hört auf zu lachen und stellt sich demonstrativ vor KEVIN.]

WAYNE: Zwing mich doch dazu, Kröte !

KEVIN: Ich warne dich, Wayne !

WAYNE: Oh, ich bibbere vor Angst !

KEVIN: Wayne !

JACK: Jetzt reicht's aber ! Was ist mit euch - ich fahr mit euch her, um zu angeln, und ihr sucht nur Streit !! Ist das nötig ?! Wieso versuchen wir nicht alle, ... uns zu vertragen, so wie früher.

ERZÄHLER: Aber die Sache war die: Wir konnten es ihm genausowenig sagen wie er uns.

WAYNE: Hey, du das Schaum in den Haaren ! [schnipst eine Schaumblase von KEVINs Stirn]

KEVIN: Das reicht !

[KEVIN stürzt sich auf WAYNE und reißt ihn zu Boden. Sie prügeln sich.]

JACK: Hey ! Schluß damit ! Hört auf ! Auseinander !!

ERZÄHLER: Und da passierte es ! [JACK versucht, die beiden voneinander zu trennen] Die Sache geriet ein wenig ... außer Kontrolle.

[JACK wird von KEVIN und WAYNE zu Boden gerissen, fällt auf die Pfanne, die in hohem Bogen gegen einen Baum fliegt. Sie landet im Gerümpel, wirft die Bierdose um, das Bier läuft über das Zelt und dieses geht in Flammen auf. WAYNE und KEVIN hören sofort auf, sich zu prügeln, stehen auf und sehen hilflos zu, wie das Zelt allmählich abbrennt. Auch JACK kann nichts mehr tun.]

Anmerkung: Selbst wenn ich einen Videorekorder gehabt hätte, wäre die Szene wohl zu schnell abgelaufen, um sie vollständig wiederzugeben. Schließlich war das Ganze eine Sache von ein oder zwei Sekunden. Ich habe versucht, die Szene so genau, wie ich mich daran erinnere, darzustellen.

KEVIN: Dad !

ERZÄHLER: Vor uns brannten die Erinnerungen an 18 Jahre ! Und wir konnten nichts tun, als dastehen und zusehen.

[Am nächsten Morgen wacht KEVIN auf - im Auto. Er hat auf den beiden Vordersitzen gelegen. WAYNE schläft noch auf der Rückbank und hat die Füße zum Fenster hinausgestreckt. KEVIN steigt aus und geht zu JACK hinüber, der nachsieht, was vom Zelt und der Ausrüstung noch heil geblieben ist.]

KEVIN: Kann ich dir helfen ?

JACK: Nein.

ERZÄHLER: Ich wußte nicht genau, was ich sagen sollte. Ich wollte alles wiedergutmachen, aber mir war klar, daß ich das nicht konnte !

KEVIN: Tut mir leid wegen des Zeltes.

JACK: Ist nicht so schlimm.

ERZÄHLER: Aber ich wußte, daß er log. Ich wußte, daß Wayne und ich ihn enttäuscht hatten. Wir waren älter geworden, und das Traurige war, daß niemand etwas dafür konnte.

JACK: Wieso haben wir diesen dämlichen Ausflug eigentlich gemacht ?!

KEVIN: Na ja ... weil wir ihn geplant hatten. Du hast dich einen Tag rausgeboxt und uns auch, also sind wir gefahren. Außerdem ... ist erst Samstag. Bleiben wir noch bis morgen !

JACK: Und wo sollen wir schlafen ?

ERZÄHLER: Ich glaube, das Schwerste am Erwachsenwerden ist, daß einem die, auf die man sich immer verlassen konnte, plötzlich um Rat bitten.

KEVIN: Keine Ahnung. Warten wir's ab.

JACK: [lächelt] Komm mit ! Wir lassen uns was einfallen, stimmt's ?

ERZÄHLER: Schließlich waren wir schon soweit gekommen - warum hätten wir da noch umkehren sollen ! Den Rest des Tages haben wir geangelt.

JACK: Oh ! Nicht übel !

KEVIN: Super, hä ?

ERZÄHLER: Viel gefangen haben wir nicht. Dad sagte, er würde gerne dorthin ziehen und einen Anglerladen aufmachen. Ich hab geantwortet, daß ich die Idee toll finde - ich glaube, er hat es mir abgenommen. Und am Schluß ist uns wohl allen klargeworden, warum wir rausgefahren waren. Wir waren dort, um uns zu verabschieden.

CLOSING TITLES
Dieses Transcript wurde von Daniel G.



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09/10/01 19:50