Folge 73: Der Zauber der Lyrik
Drehbuch: David Greenwalt



OPENING TITLES
OPENING SEQUENCE
Ein Tisch von unten - mit einem Herz und Initialen auf der Unterseite - und das Mädchen, das an dem Tisch sitzt und einen Kaugummi genau auf das Herz klebt. Wo man auch hinschaut, findet man an Wände und Türen gekritzelte Herzen mit Namen, ...

ERZÄHLER: Die Dichter sagen, die Liebe kommt und geht schneller, als ein Herz schlägt. Unglücklicherweise geht sie in der Highschool eher, als sie kommt.

[... Herzen, die von den Reinigungskräften weggewischt werden.]

EXT. MORGEN. PARKPLATZ
Ein Auto kommt angerast und bremst vor einer Parklücke mit quietschenden Reifen ab.

ERZÄHLER: Trotzdem gab es auf meiner Highschool ein Paar, dessen Liebe über allem anderen schwebte, wie ein bunter Paradiesvogel.

[Ein Mädchen und ein Junge steigen aus.]

ERZÄHLER: Der Junge, den Jungs fürchteten - das Mädchen, über das Mädchen redeten: Denise Lavelle und Francis Danavukovic.

[DENISE steckt sich eine Zigarette an, aber Francis - FRANK - nimmt sie ihr aus dem Mund.]

FRANK: Diese Dinger sind dein Tod !

DENISE: [verführerisch] Genau wie du. [küssen sich]

ERZÄHLER: Besser bekannt als Frank der Harte und Denise die Zarte.

INT. TAG. SCHULKORRIDOR
Es klingelt. DENISE kommt eine Treppe hinunter und geht dann den Gang entlang. Die ganze Zeit wird sie von Jungen angeblickt, angelächelt, angebetet, aber sie geht an ihnen allen vorbei.

ERZÄHLER: Frank und Denise waren nicht das hübscheste Paar an unserer Schule, oder das beliebteste. Und sie waren mit Sicherheit nicht das Paar mit den besten Zukunftschancen. Aber sie lebten in ihrer eigenen Welt, wo Dinge geschworen, Versprechen gehalten und Herzen nie gebrochen wurden.

EXT. ABEND. FOOTBALLFELD
Cheerleader heizen das Publikum auf den voll besetzten Tribünen an. Hinter ihnen sitzen die Spieler der McKinley Highschool, und einer von ihnen ist FRANK. Als der Coach sie auf das Feld schickt, bleibt FRANK noch einmal stehen und dreht sich zu DENISE um, die im Publikum sitzt, zu ihm hinunterblickt und ihre Halskette, die sie emporgehoben hat, küßt.

ERZÄHLER: Die beiden verknüpfte ein Band, das man beinah sehen konnte, ein Band, das ihnen bei allem, was sie taten, Kraft gab.

[Das Spiel beginnt, und jedesmal, wenn FRANK wieder einen Gegner zu Boden gestoßen hat und das Publikum jubelt, dreht er sich wieder zu DENISE um und wartet, daß sie einen symbolischen Kuß auf ihre Halskette drückt.]

ERZÄHLER: Sie waren etwas Bleibendes in einer sich verändernden Welt. Ein Fels in der Brandung. Ein lebendes Denkmal für die Liebe.

INT. TAG. ENGLISCHRAUM
Ein etwas untersetzter Lehrer, dessen Stimme eher wie eine Frauenstimme klingt, sitzt am Lehrertisch und redet, ohne die Klasse anzusehen.

LEHRER: Die Liebe - die Liebe, meine ahnungslosen Schützlinge, ist eine Schande, ein grausamer Witz und niemals das, was sie uns glauben macht.

ERZÄHLER: Der schräge Mr. Lemkur, die Garderobe von der Heilsarmee, die Figur von Quasimodo.

Anmerkung: Gemeint ist mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die Romanfigur, nicht der italienische Lyriker, Kritiker und Übersetzer - obwohl es in diesem Kurs um Lyrik geht.

ERZÄHLER: Worte waren seine einzige Leidenschaft. Uns mit ihnen zu langweilen seine einzige Freude.

LEMKUR: Sehen wir doch mal, wie sich Keats zu diesem Thema äußert.

Anmerkung: John Keats, britischer Dichter, lebte von 1795 bis 1821. Er hat verschiedene Gedichte und Verserzählungen verfaßt, darunter "Endymion" (1818) und "Hyperion" (1820).

ERZÄHLER: Bei allem Respekt vor den großen Dichtern, aber die dritte Stunde Englisch ließ doch etliche Wünsche offen - und die drehten sich sämtlichst um Denise die Zarte.

[KEVIN sitzt in der zweiten Reihe. Er ist nicht dank Mr. LEMKURs Gedichten gelangweilt - genaugenommen hört er gar nicht zu. Er beobachtet die ganze Zeit nur DENISE Lavelle, die direkt vor ihm sitzt.]

LEMKUR: [liest vor] ... und gescheiteltes Haar, / feingliedrige Hände, weißer Hals und samtene Brüste / wecken in irritierten Seelen Gelüste. Wohlan, was sagt uns Keats durch diese Zeilen ? Kevin ?

[KEVIN hat die Wahrheit von Keats' Zeilen am eigenen Leib miterlebt - speziell durch Denise' Haarpracht, die etwas über ihre Schultern hinaus herunterhängt. Als Mr. LEMKUR ihn aufruft, schreckt er aus einer Art Trance auf.]

KEVIN: Wer ? Ich ?

LEMKUR: Ja, du.

KEVIN: Ja, er ... er sagt ... daß die ... die samtenen ...

ERZÄHLER: Oh Mann.

KEVIN: [unwohl] ... daß ... nun ja, daß alles ... irgendwie ... irritierend ist.

LEMKUR: Richtig. Nun zu den Gedichten, mit denen ihr euch für heute zu Hause befassen solltet. Miss Lavelle ? Wollen Sie für uns rezitieren, was Swift über l'amour zu sagen hat ? [steht auf und stellt sich vor den Lehrertisch]

Anmerkung: Jonathan Swift, irischer Schriftsteller, lebte von 1667 bis 1745. Gedichte und satirische Erzählungen mit politischer, gesellschaftlicher und weltanschaulicher Kritik, darunter auch "Gullivers Reisen" (1726).

DENISE: Wieso nicht ... [geht nach vorne]

LEMKUR: Ich nehme doch an, in diesem Semester schließen sie unseren Kurs ab ...

DENISE: [trocken] Aller guten Dinge sind drei.

LEMKUR: Letztes Jahr waren es Röteln. Was war es das Jahr davor ?

DENISE: Weibliche Unpäßlichkeit.

LEMKUR: [hüstelt] Richtig.

ERZÄHLER: Also eins mußte man ihr lassen: Sie hatte das gewisse Etwas.

DENISE: [leise, stockend] Moderne Liebe, die ist nicht / wovon manch alter Dichter spricht. / Ein heeres Glühen, keusch, klar und rein, / ein ...

Anmerkung: Diese Zeilen stammen aus "Cadenus und Vanessa" - die Originalversion ist verfügbar.

ERZÄHLER: Auch wenn keiner verstand, was sie da sagte - wen kümmerte das schon.

DENISE: ... das mit gleißend heller Flamme brennt / und Herzen eint, die nichts mehr trennt, / zwei Herzen, deren größtes Glück auf Erden / es ist, zusammen zu Asche zu werden. / Doch Frauen heute fühlen nur Verlangen, / die Zeit des Feuers ist vergangen.

[Eine Träne kullert DENISE' Wange entlang.]

ERZÄHLER: Ich konnte nicht glauben, was ich da sah ! Denise die Zarte weinte !

LEMKUR: Aha ! Seht ihr, seht ihr, seht ihr ? Swift wußte wirklich ganz genau, wovon er redete. Ja.

ERZÄHLER: Das komische war: Obwohl ich nicht viel mehr von ihr wußte als die Farbe ihrer BH-Träger, wollte ich sie plötzlich berühren und trösten. Aber warum sollte sie sich von mir ansprachen lassen ?

[Es klingelt.]

INT. TAG. SCHULKORRIDOR
KEVIN steht an seinem Schließfach. DENISE tritt an ihn heran.

DENISE: Calvin !

ERZÄHLER: Doch dann - sprach sie mich zuerst an.

DENISE: Ich hab zu diesem Gedicht 'ne Hausarbeit auf. Du hast es doch verstanden, nicht ?

ERZÄHLER: Um ehrlich zu sein hatte ich nicht einmal den Titel verstanden, aber ...

KEVIN: Äh, na ja ... das meiste jedenfalls.

DENISE: Kannst du mir vielleicht weiterhelfen ?

KEVIN: Klar.

DENISE: Die Zeile wo er sagt: "Sucht alle Schuld im anderen Geschlecht" ...

KEVIN: Ähä ...

DENISE: Denkst du, das ist der Tenor seiner Aussage, daß Mann und Frau die Schuld immer beim anderen sehen ?

ERZÄHLER: Augenblick. Was hieß Tenor doch gleich ?

KEVIN: Ja !

[KEVIN schließt sein Schließfach und geht, mit DENISE, den Gang entlang.]

ERZÄHLER: Was soll's. Ich hätte zu allem ja gesagt. Denise die Zarte redete mit mir, Calvin Arnold.

DENISE: Wenn du zusammenfassen mußt, was Swift sagt, wie stellst du das an ?

KEVIN: Na ja ... Er redet nur über diese uralte Mann-Frau- ... Frau-Mann-Geschichte.

DENISE: Klar. Klar, selbst als Swift gelebt hat, hat die Liebe die Leute ...

[FRANK hat sich von hinten an sie herangeschlichen und stellt sich vor DENISE und KEVIN.]

FRANK: Hat die Liebe die Leute was ?

KEVIN: Äh ...

DENISE: Genervt !

FRANK: Das kannst du laut sagen ! Wir müssen uns unterhalten.

KEVIN: [ängstlich] Müssen wir ?

FRANK: Nicht du, du Vollidiot !

DENISE: Ich weiß, daß wir uns unterhalten müssen. Davon rede ich schon den ganzen Tag.

FRANK: Dann fangen wir endlich an.

ERZÄHLER: Was, wie ich das sah, mein Stichwort war, um zur linken Bühnenseite abzugehen.

[KEVIN will gehen, aber DENISE hält ihn fest.]

DENISE: Aber in dieser Sekunde spreche ich gerade mit meinem Freund.

FRANK: [verächtlich] Über was ?

DENISE: Über Dinge, die du offensichtlich nicht so ganz verstehst.

FRANK: Ach was ? Laß mal hören !

DENISE: Okay. Das Thema unserer Diskussion heißt "Cadenus und Vanessa".

FRANK: Schon klar.

DENISE: Ein Gedicht, falls du es nicht weißt.

FRANK: Schon klar.

DENISE: Von Jonathan Swift.

FRANK: Ja, ich kenn den Typ.

DENISE: Den kennst du !!

FRANK: Ja, Swift, das ist der Kerl aus dem Comic, auch bekannt als The Phleg.

ERZÄHLER: Der Fehler hätte jedem passieren können.

DENISE: Das ist der Kerl, der gesagt hat: Der Richter entdeckt in ihren Zügen / Verbitterung über Leid und Lügen.

FRANK: [verärgert] Diesen blöden Scheiß kannst du dir sparen !

DENISE: Ich werd mir deine Ausdrücke nicht länger anhören. Danke für deine Hilfe, Calvin.

[Sie geht und läßt KEVIN und FRANK allein zurück.]

ERZÄHLER: Und das war's. Ein fruchtbarer Wortwechsel.

FRANK: Denise, warte auf mich !

ERZÄHLER: Alles in allem betrachtet.

INT. MITTAG. CAFETERIA
KEVIN sitzt mit zwei Jungen, die in dieser Folgen keinen Namen bekommen werden, an einem ansonsten leeren Tisch.

JUNGE #1: Das ist völlig unfaßbar !

KEVIN: Was hätt ich den machen sollen ? Sie ignorieren ?

JUNGE #2: Ja ! Frank hat mal jemanden krankenhausreif geprügelt, nur weil er sie in Ocean City angeguckt hat !

JUNGE #1: Das ist völlig unfaßbar !

KEVIN: Ist das hier nicht Amerika ? Ich kann doch wohl reden, mit wem ich will !

JUNGE #2: Ja, nur nicht ohne Zähne.

JUNGE #1: Das ist völlig unfaßbar.

[KEVIN steht auf und geht mit seinem Tablett in die Richtung, in der sich sowohl der Abfalleimer als auch - DENISE befinden.]

ERZÄHLER: Ach, was wußten diese Jungs schon. Gut, ich hatte mit Denise gesprochen. Na und ? Immerhin verband uns jetzt etwas. Wir waren gewissermaßen Seelenverwandte. Und wenn ich mit ihr reden wollte, dann würde ich das tun ...

[KEVIN ist an dem Tisch, an dem DENISE alleine sitzt, angekommen. Er zögert kurz und geht dann an ihr vorbei.]

ERZÄHLER: ... und wenn nicht, dann ...

DENISE: Hey Calvin !

[KEVIN bleibt wie angewurzelt stehen. Als er sich zu DENISE umdreht, stößt er mit seinem Tablett an eine Mülltonne. Sein Geschirr fällt klirrend hinein.]

KEVIN: Hallo ! Alles klar ?

DENISE: Es geht voran. Je öfter ich es lese, um so besser verstehe ich dieses Gedicht. Es klagt die Liebe an ! [DENISE steht auf und kommt zu ihm]

KEVIN: Aha.

DENISE: Und wenn Swift sagt: "Sterbliche verachten die Schönheit der Liebe", heißt das doch, das ganze ist ein Betrug und echte Liebe gibt's nicht. Stimmt's ?

KEVIN: Äh ...

ERZÄHLER: Hey, im Zweifelsfalle sagt man ...

KEVIN: Sicher. Natürlich.

DENISE: Mit dir red ich richtig gern.

[DENISE geht - das Zeichen für die beiden Jungen, die vorher mit KEVIN an einem Tisch saßen, zu ihm hinüberzueilen.]

ERZÄHLER: [stolz] Haben es alle gehört ? Sie redete richtig gern mit mir.

JUNGEN: Was hat sie gesagt ?

ERZÄHLER: Natürlich spricht ein Gentleman nicht über solche Dinge.

KEVIN: Sie sagt, daß sie richtig gern mit mir redet.

JUNGE #2: Oh !

JUNGE #1: Das ist völlig unfaßbar !

INT. TAG. SCHULKORRIDOR
KEVIN geht allein einen der Gänge entlang.

ERZÄHLER: Tatsache war: Ich, Calvin, hatte mit Denise der Zarten gesprochen und mir war nicht der Himmel auf den Kopf gefallen, keine Hand hatte aus den Wolken nach mir gegriffen ...

[Zwar nicht aus den Wolken, dafür aber aus einem Seitengang heraus greift eine Hand nicht KEVINs Hemd und zieht ihn aus dem Bild.]

INT. TAG. WERKSTATT
KEVIN wird, mit dem Kopf zwischen FRANKs Armen eingeklemmt, in eine Werkstatt geschleift, wo ein kleines Kofferradio leise vor sich hin dudelt. Etwas entfernt steht ein Wagen mit hochgeklappter Motorhaube. FRANK und - KEVIN gezwungenermaßen ebenfalls - bleiben vor dem Radio stehen.

FRANK: [sauer] Hast du mit Denise geredet ?

KEVIN: Weißt du, eigentlich ...

FRANK: Sscht ! Hier kommt meine Lieblingsstelle.

[Er stellt das Radio lauter, ohne KEVIN loszulassen. Nach wenigen Sekunden stellt FRANK das Radio ab.]

FRANK: Ich liebe diesen Song ! Wo war ich ? Oh, ja. Denise.

[FRANK schleppt KEVIN mit zu dem Wagen. Er beugt sich über den Motor und hält KEVINs Kopf ebenfalls unter der Haube fest.]

FRANK: Also: Irgendwie hat Denise zur Zeit einen Kopfschuß. Sie redet einfach nicht mit mir. Aber sie redet mit dir - weiß der Geier, wieso !

KEVIN: Ich werde nie wieder mit ihr reden, das schwör ich !

FRANK: Doch, wirst du schon !

KEVIN: Ach wirklich ?

FRANK: [läßt ihn los] Ja. Ich möchte, daß du für mich mit ihr sprichst.

ERZÄHLER: Oh mein Gott ! Ich würde am Leben bleiben !

[FRANK greift nach der Motorhaube, und KEVIN kann gerade noch den Kopf darunter hervorziehen, bevor er sie zuschlägt.]

EXT. ABEND. DRIVE-IN
ERZÄHLER: Oder ? FRANK bremst seinen Wagen genau vor dem Sprechkasten eines Drive-in-Restaurant's ab. KEVIN sitzt auf dem Beifahrersitz.

DENISE: [durch den Lautsprecher] Hallo ! Willkommen bei Fedsoe. Was darf's denn sein ? Hallo ? Hallo ?

FRANK: [zischt] Los, raus mit dir ! [hält KEVIN halb aus seinem Fenster]

KEVIN: Hallo, Denise ! Hi, hier ist Kevin. Du weißt schon, Calvin-Kevin aus dem Lyrikkurs.

DENISE: Hey, Calvin ! Was tust du hier ?

KEVIN: Also, ich häng nur rum. Nichts weiter.

DENISE: Was kann ich für dich tun ?

KEVIN: Ich ... hätte gern einen Milchshake und Pommes Frites...

FRANK: [zischt] Hey, komm zur Sache !

KEVIN: Ach, ich hab mich gerade gefragt, warum du nicht mehr mit Frank reden möchtest.

[Szenenwechsel. DENISE steht in ihrer kleinen Kabine hinter einem Mikrofon und schminkt sich. KEVINs Stimme ist durch einen Lautsprecher zu hören. Als er von FRANK redet, hält DENISE ihren kleinen Handspiegel aus dem Fenster und sieht so den Wagen in der Einfahrt stehen.]

KEVIN: [durch den Lautsprecher] Ich meine, es geht mich nichts an, aber es wäre nicht schlecht, wenn du mir sagen würdest, wieso.

DENISE: Tja, das ist nicht so ganz einfach ...

[Szenenwechsel, zurück zur vorigen Einstellung. Jetzt ist DENISE' Stimme wieder durch einen Lautsprecher zu hören.]

DENISE: Das liegt wohl daran, daß Frank ein großer, fetter Blödmann ist, der offenbar nicht für sich selbst sprechen kann.

FRANK: [brüllt ins Mikrofon] Denise !

DENISE: Das faß ich alles nicht !

[FRANK rast los, nur um drei Meter weiter mit quietschenden Reifen abzubremsen. DENISE kommt aus der Kabine und steigt ins Auto ein, so daß KEVIN unbequemerweise zwischen sitzt.]

ERZÄHLER: Und wieder einmal befand ich mich ... zwischen den Fronten.

DENISE: Sag mal, was soll die Nummer ?

FRANK: Ich will wissen, was los ist, Denise. Warum redest du nicht mehr mit mir ?

DENISE: Weil es nichts mehr zu reden gibt, Frank.

KEVIN: Äh, möglicherweise sollte ich ...

FRANK: Halt die Klappe !

ERZÄHLER: Äh - gut.

FRANK: [brüllt] Verflucht, kannst du - [beruhigt sich] kannst du mir sagen, was los ist ? Willst du alles wegwerfen, was wir hatten ?

DENISE: Frank, ein Dichter hat mal folgendes gesagt: Sie wußte, in unserer kranken Zeit / kommt man mit Tugend allein nicht weit, / da Fleisch mit Geld bezahlt sein will. Okay ?

ERZÄHLER: [verständnislos] Häh ?

FRANK: Häh ?

DENISE: Calvin hat es verstanden, oder ?

KEVIN: Äh, weißt du, das ... das Fleisch ...

FRANK: Los, steig aus und laß uns in Ruhe reden !

[DENISE steigt kurz aus, um KEVIN rauszulassen, und setzt sich dann wieder auf den Beifahrersitz.]

KEVIN: Von mir aus gern. Schließlich hatte ich meine Aufgabe erfüllt: Ich hatte sie zusammengeführt. Welches Problem auch immer zwischen ihnen stand - sie mußten es allein lösen.

[Sie streiten allerdings bloß, anstatt miteinander zu reden.]

DENISE: [steigt aus] Ich will dich nie wieder sehen !

FRANK: [schreit] Was heißt denn das nun wieder ? Argh ! [gibt Gas und fährt weg]

ERZÄHLER: Oder auch nicht.

[DENISE geht zu KEVIN hinüber, der sich auf eine Mauer gesetzt hat.]

DENISE: Als würde man gegen eine Wand reden !

ERZÄHLER: In dem Moment wurde mir etwas Grauenvolles bewußt:

KEVIN: Das bekommt ihr in den Griff.

DENISE: Das zeigt nur, wie wenig du über uns weißt. Los, ich werd dich nach Hause fahren.

ERZÄHLER: Ob es mir gefiel oder nicht - ich war mitten drin im Geschehen.

EXT. ABEND. HAUS DER ARNOLDS
DENISE hält ihren Wagen am Bürgersteig vor KEVINs Haus. Im Radio läuft "Only You" von den Platters. KEVIN steigt nicht aus, sondern sieht DENISE an, während sie sich einen Kaugummi in den Mund steckt. Schließlich bleibt sein Blick an DENISE' Halskette haften - oder vielleicht eher auf dem Plastiknamensschildchen ... ?

DENISE: Hübsch, nicht ?

KEVIN: Äh ...

DENISE: Frank hat sie mir am ersten Abend geschenkt. Da war ich 14. Ich nehme sie nie ab, nicht einmal unter der Dusche.

KEVIN: Wirklich ...

DENISE: Immer, wenn er spielt, zeig ich sie ihm. Er sagt, ich bringe ihm Glück. Zur Zeit bringt er mir leider keins.

ERZÄHLER: Natürlich wußte ich, daß ich ihren Schmerz irgendwie lindern mußte ...

KEVIN: Also, Frank ... weißt du, er ist ... ein guter Kerl. Wirklich. Er ist ein ... guter ... guter ... Kerl.

ERZÄHLER: Ich weiß nicht, woher, aber plötzlich kam mir ein Gedanke:

KEVIN: Die Liebe ist ein Fluß, / wohin er fließt, weiß keiner.

ERZÄHLER: Ich kam mir natürlich wie ein Vollidiot vor.

DENISE: [lächelt] Das ist wunderschön.

ERZÄHLER: Andererseits ...

KEVIN: Die Wunde ist tief, doch der Fluß ist breit.

DENISE: Da hast du sicher recht. Danke. Du bist süß.

ERZÄHLER: Und in diesem Moment wußte ich, ohne jeden Zweifel, daß alles gut werden würde. Für uns alle.

KEVIN: Also gut. Wir sehen uns dann wohl morgen in der Schule.

[DENISE beugt sich vor und küßt KEVIN.]

DENISE: Mach's gut.

[KEVIN steigt halb benommen aus und blickt DENISE hinterher, als sie wegfährt.]

ERZÄHLER: Vielleicht war es ein Traum, vielleicht war ich auch verrückt - vielleicht konnte Denise die Zarte nur auf eine Art küssen ...

[KEVIN nimmt, noch immer etwas benommen, DENISE' Kaugummi aus seinem Mund.]

ERZÄHLER: Oder vielleicht hatte sich das begehrenswerteste Mädchen der McKinley Highschool gerade in Calvin Arnold verliebt.

EXT. ABEND. FOOTBALLSTADION
FRANK blickt zu DENISE, die sich das Spiel ansieht. Er drückt seine Halskette, aber DENISE sieht ihn nur wütend an, steht auf und geht.

ERZÄHLER: Die wichtigste Liebesbeziehung unserer Schule war im Begriff auseinanderzufallen. Die Frage war, wen das am schwersten traf: Denise [die gerade geht], Frank [der immernoch zu DENISE blickt und nicht die gesamte gegnerische Mannschaft bemerkt, die auf ihn zustrmt und ihn schlieálich zu Boden wirft] oder - meine Wenigkeit.

INT. VORMITTAG. ENGLISCHRAUM
DENISE steht vorne vor dem Lehrertisch, Mr. LEMKUR trägt ein Goldfischglas zum Fenster und KEVIN, in der dritten Reihe, kann seinen Blick nicht von DENISE abwenden, die immer wieder zu ihm blickt.

DENISE: Dank Calvin hab ich rausgefunden, was Swift sagt.

LEMKUR: Aha. Und was sagt Swift seinen Lesern in "Cadenus ... und Vanessa" ? [füttert seine Fische]

DENISE: [ohne Zögern] Na ja, er sagt, daß die Liebe etwas himmlisches ist, aber die Menschen sind nunmal Menschen. Sie versauen alles, weil sie stur sein müssen und geistlos und ... das können selbst die Götter nicht hinbiegen.

LEMKUR: Weil es so ist, hab ich auch .. davon abgesehen, zu heiraten.

DENISE: Ich finde, Swift ist da falsch gepolt. Mir gefällt, was Emerson sagt: "Wenn Halbgötter scheiden, erscheinen die Götter."

Anmerkung: Ralph Waldo Emerson, lebte von 1803 bis 1882. Amerikanischer Philosoph und Dicher (speziell Lyriker und Essayist), der den amerikanischen Transzendentalismus vertrat. Diese Zeile stammt aus dem Gedicht "Give All To Love" - Originalversion ist verfügbar.

LEMKUR: Aha. Ja. Und das bedeutet ?

DENISE: Wenn du etwas verlierst, an dem du sehr hängst, kommt dafür etwas Besseres. [sieht KEVIN an]

ERZÄHLER: Es war grauenvoll. Ein kleiner, unerbetener Kuß, und plötzlich war mein Leben in Gefahr. Ich faßte den festen Entschluß, nie einem Menschen davon zu erzählen, was zwischen Denise und mir passiert war.

EXT. TAG. SCHULEINGANG
KEVIN und die beiden Jungen aus dem Essenraum kommen gemeinsam die Treppe vor dem Haupteingang der Schule hinunter.

JUNGE #2: [ungläubig] Du hast Denise die Zarte geküßt !

JUNGE #1: Das ist völlig unfaßbar !

JUNGE #2: Du glaubst doch nicht, daß wir dir das abkaufen, oder ?

ERZÄHLER: Na gut - ich hatte es zwei Menschen erzählt.

KEVIN: Ihr Kaugummi war in meinem Mund !

JUNGE #1: Das ist völlig unfaßbar !

JUNGE #2: [genervt; zum ersten Jungen] Nun hör doch mal auf ! Was soll so 'ne Granate wie Denise mit so 'nem Eierkopf wie ihm ?

[DENISE nähert sich ihnen.]

DENISE: Calvin ? Kannst du mir 'nen riesen Gefallen tun ? Ich muß sofort zur Arbeit. [kurze Pause] Kannst du für mich zu ihm gehen ? Nach dem Streit gestern könnte ich ihm sowieso nicht ins Gesicht sehen. [nimmt die Halskette ab] Hier, gib ihm das. [niedergeschlagen] Er weiß schon, was das heißt. Ich geh jetzt los. [geht]

JUNGE #1: Deinetwegen trennen sich der Harte und die Zarte.

JUNGE #2: Schade Kevin - böses Karma.

INT. NACHMITTAG. WERKSTATT
KEVIN steht hinter einer Glastür und zögert, ob er sie öffnen und zu FRANK hineingehen soll, der wieder an dem Wagen arbeitet.

ERZÄHLER: Um mein Karma machte ich mir keine Sorgen - sondern um meine Haut. Mir blieb nur eins übrig: Die Sache von Mann zu Mann zu regeln und dann - um mein Leben zu rennen.

[KEVIN öffnet die Tür und betritt die Werkstatt.]

KEVIN: [vorsichtig] Frank ?

FRANK: [sauer] Was ?

[Lange Pause.]

KEVIN: Es geht um Denise.

[FRANK läßt sein Werkzeug fallen und kommt zu ihm.]

FRANK: [ruhig] Was ist mit Denise ?

ERZÄHLER: Wie sollte ich ihm das alles klarmachen ? Den Schmerz, den ich für die beiden empfand, von meinem eigenen ganz zu schweigen ...

[Lange Pause. Schließlich gibt KEVIN FRANK die Halskette. Das scheint FRANK sehr hart zu treffen.]

KEVIN: Ich finde, du solltest mit ihr reden. Weißt du, einiges klarstellen.

FRANK: Ach, ich soll mit ihr reden ? Ich soll mit ihr reden ?! Ach, sie weiß, daß sie meinem Herz einen Arschtritt verpaßt.

ERZÄHLER: Man hätte das kaum ausdrucksvoller formulieren können. Aber dann überraschte mich Frank.

FRANK: Auch im Herzen des liebsten Menschen tut sich ein Abgrund auf.

KEVIN: Wie bitte ?

FRANK: Hab ich aus ihren dummen Büchern. Sie scheint echt auf diesen Kram zu stehen, nicht ?

ERZÄHLER: Und da hatte ich plötzlich einen Geistesblitz !

EXT. ABEND. DRIVE-IN
Dieselbe Szene, wie vorher. KEVIN sitzt wieder auf FRANKs Beifahrersitz.

DENISE: [durch den Lautsprecher] Willkommen bei Fedsoe. Was darf's denn sein ?

FRANK: Ähm ... [leise] Einfach vorlesen, ja ?

DENISE: Hallo ? Hallo !

FRANK: Äh ... [laut] Gib alles der Liebe !

ERZÄHLER: Hehe. Wenn das nicht zog, dann kannte ich Denise die Zarte aber schlecht !

DENISE: Wer ist da ? Das find ich nicht komisch, du Idiot ! Gib deine Bestellung auf oder fahr weiter !

ERZÄHLER: Mmh.

FRANK: [zu sich selbst] Nein, das bin ich nicht.

DENISE: Frank ?

FRANK: Hör zu, Denise !

DENISE: Es ist längst alles gesagt.

FRANK: [verzweifelt] Ich hab dir schon noch etwas Wichtiges zu sagen !

ERZÄHLER: Die Lyrik war gescheitert. Frank war nun ganz auf sich gestellt.

DENISE: Und was ?

FRANK: Äh ... Genau das !

[FRANK stellt das Radio etwas lauter, hört auf den Text und singt dann die jeweils gesungene Strophe nach.]

FRANK: If I were a carpenter / and you were a lady, / will you marry me anyway, / would you have my baby ?

Übersetzung: Wenn ich ein Zimmermann wäre und du eine Lady, würdest du mich trotzdem heiraten und mein Kind zur Welt bringen ?

[Der Song geht weiter, aber FRANK singt nicht mehr mit. Niemand sagt etwas. Nach einer Weile:]

DENISE: [weint] Wir haben heute ein Spezialangebot. Pommes Frites, ein Getränk und ein Hamburger für 39 Cent.

FRANK: Willst du mich noch ?

DENISE: [weint] Frank ...

FRANK: Denise ...

DENISE: Natürlich will ich dich.

[FRANK lacht vor Freude und drückt KEVIN einen Kuß auf die Wange. Er springt aus dem Wagen und springt über einen Zaun zu DENISE, die ihm entgegenkommt.]

ERZÄHLER: Na schön, es war nicht Shakespeare, aber die Botschaft kam an. Was mich anging - ich würde die Zarte vermissen. Und ich war ziemlich sicher, daß sie auch mich ein bißchen vermissen würde. Aber wir wußten beide, daß sie wieder dort war, wo sie hingehörte. Und da verstand ich es endlich: Man muß einfach zwei Leute und ihre Probleme kennen, bevor man sie lösen kann.

DENISE: Übrigens, Frank, es war ein Fehlalarm. Ich bin nicht schwanger.

FRANK und KEVIN: Schwanger ?!

EXT. ABEND. FOOTBALLFELD
KEVIN und DENISE sitzen im Publikum, FRANK ist einer der Spieler auf dem Feld.

ERZÄHLER: Frank und Denise haben sich an diesem Tag versöhnt, und unsere Welt konnte sich wieder weiterdrehen.

[FRANK rennt mit einem Schrei einen weiteren Gegner um. Abpfiff.]

ERZÄHLER: Er liebte sie, ...

[FRANK blickt wieder zu DENISE.]

ERZÄHLER: ... sie liebte ihn, ...

[DENISE gibt ihm wieder einen Kuß auf seine Halskette, die sie wieder trägt.]

ERZÄHLER: ... und ich blieb übrig, um die Geschichte zu erzählen.

EXT. ABEND. DRIVE-IN
Das Auto steht noch dort, wo es vorher stand. DENISE und FRANK sitzen drin, KEVIN wartet draußen auf der Mauer. Die Kamera steigt langsam höher und höher.

ERZÄHLER: Der Harte und Denise heirateten in jenem Jahr nach ihrem Abschluß und bekamen ein Kind. Denise kam auf's College und Frank ging auf eine Kosmetikschule. Und obwohl ich gehört habe, daß sie sich ein paar Jahre später haben scheiden lassen, hoffe ich, daß das - genau wie die Geschichte, daß Frank seinen Lehrer überfahren hat - nur ein Gerücht war.

CLOSING TITLES
Dieses Transcript wurde von Daniel G.



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09/10/01 19:50