Folge 68: Eine Ära geht zu Ende
Drehbuch: Bob Brush



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Eine Collage der verschiedensten Ereignisse und Menschen zeigt, was 1971 alles geschah.

ERZÄHLER: 1971 war ein großes Jahr. Die Hot Pants wurden erfunden, Danny McLean verlor für die Washington Senators 22 Spiele und ich beendete die Junior Highschool. Aber dazu kommen wir noch. In den drei Jahren, seit ich in die siebte Klasse gekommen war, hatte sich eine Menge verändert. Trotzdem - in den Vororten, da wo ich aufwuchs, verlief das Leben immernoch in denselben Bahnen, geprägt vom Brummen der Rasenmäher, dem Rufen der Kleinen beim Versteckspielen, den Träumen der Eltern, dem ständigen Kampf der Kinder ...

INT. TAG. KÜCHE
Eine Großaufnahme von WAYNE, dem MOM beim Lernen für eine Prüfung hilft. KEVIN, der am Kühlschrank steht, bekommt alles mit.

ERZÄHLER: ... dem Knirschen der Zahnräder in besonders kleinen Gehirnen.

WAYNE: B ! [kreuzt auf dem Fragebogen B an]

MOM: Äh, Schatz, es ist vermutlich eher C.

WAYNE: Hab ich doch gesagt. C ! [kreuzt an]

ERZÄHLER: Nachdem er sich 10 Jahre in den Nischen des öffentlichen Schulsystems versteckt hatte, mußte sich mein Bruder nun den wichtigen Fragen des Lebens stellen.

MOM: Nun mach schon ! Versuch noch eine !

WAYNE: Da kreuzen wir ... [denkt nach]

ERZÄHLER: Aber er ging nicht kampflos unter.

WAYNE: ... A an ! [gelangweilt] Können wir jetzt essen ?

MOM: Wayne ! Was meine Mutter anging - sie stand ständig mit einem Bein im Regen ...

[Die Hintertür öffnet sich und DAD kommt herein.]

ERZÄHLER: ... und mit dem anderen in der Traufe.

[DAD stellt seine Tasche ab, schließt die Tür und setzt sich ohne eine Wort zu sagen an den Tisch.]

ERZÄHLER: Mein Vater hatte anscheinend das gängige Konzept der Kommunikation praktisch aufgegeben.

MOM: Jack, die Handwerker waren heute mittag da - wegen des Fundaments.

DAD: [geschafft] Darüber will ich jetzt nicht sprechen.

MOM: Na ja, sie sagen, es ist halb so schlimm. Es müssen nur ein paar Mauern neu gegossen werden.

DAD: [schärfer] Darüber will ich jetzt nicht sprechen !

ERZÄHLER: Meine Vermutung war, daß mein Vater gerade nicht darüber sprechen wollte.

MOM: Also dann - wollen wir vielleicht essen ?

KEVIN: Gute Idee, Mom.

MOM: Schön. Setzt euch.

ERZÄHLER: Das war's. Innerhalb der universellen Weltordnung der Familie Arnold ging alles seinen Weg. Für einige von uns jedenfalls.

KEVIN: [grüßt DAD] Hi !

DAD: [brummt nur.]

INT. TAG. VERSAMMLUNGSSAAL
In dem riesigen Saal haben sich die Schüler der Robert F. Kennedy Junior Highschool, ihre Eltern und Angehörige versammelt. Über der Bühne, auf der Stühle für die Lehrer bereitgestellt worden sind, hängt ein Plakat mit der Aufschrift "1971". - Mr. DIPERNA, der stellvertretende Direktor, steht am Podium. Ein kurzes Pfeiffen dringt aus den Lautsprechern, dann begint DIPERNA mit seiner Ansprache.

DIPERNA: Schüler, liebe Eltern, Lehrerschaft und Freunde - willkommen !

JUNGE: [irgendwo im Saal] Arsch !

[Ein kurzes Gelächter erfüllt den Saal.]

DIPERNA: [sauer] Wer war das ?

ERZÄHLER: Die letzte Woche in der Junior Highschool. Irgendwie hatte man doch einen Kloß im Hals.

[Nochmals kurzes Gelächter, auch von KEVIN, der neben PAUL und in der Gesellschaft einiger Freunde irgendwo im Saal sitzt.]

PAUL: Sschh ! Das ist 'ne erste Sache. Seid ruhig !

RANDY (?): Ja, seid mal ruhig ! Diperna will nämlich 'ne Ansprache halten. [schnarcht kurz, während DIPERNA bereits weiterredet]

DIPERNA: ... Wenn ich eure Namen aufrufe, kommt ihr durch den rechten Gang nach vorne und nehmt die Abschlußzeugnisse entgegen.

[TONY Barbella - Zitat aus "Ninth Grade Man": "Ich mache jedes Jahr meinen Abschluß." - meldet sich.]

DIPERNA: Ja ?

TONY: Krieg ich diesmal auch eins ? [nochmaliges Gelächter]

DIPERNA: Das kann ich nicht besonders komisch finden, Mr. Barbella.

TONY: War nur 'ne Frage.

[DIPERNA redet weiter.]

PAUL: Ich versteh das nicht. Das ist für uns alle ein besonderer Augenblick - ist das keinem von euch klar ?

ERZÄHLER: Aber wenn Paul nach Verbündeten suchte, war er bei uns an der falschen Adresse.

RANDY (?): Schluß damit, Pfeiffer.

KEVIN: Ja, mach bloß nicht so'n Gesicht. Ist doch nur 'ne blöde Abschlußfeier.

PAUL: Ja, vielleicht für dich. Für mich aber nicht.

KEVIN: Was ist daran besonderes ? Wir werden alle Leute im kommenden Jahr in der Highschool sehen.

ERZÄHLER: Für mich war diese ganze Sache sonnenklar.

INT. TAG. KLASSENRAUM
Es klingelt, die Türen der Klassenräume öffnen sich. KEVIN kommt aus einer davon.

ERZÄHLER: Es war Zeit, weiterzuziehen, Zeit, sich von den alten Tagen zu verabschieden.

[KEVIN rempelt, ohne es zu wollen, BECKY Slater an, die ihm auf dem Gang entgegenkam.]

BECKY: Paß doch auf, Kevin !

ERZÄHLER: Und den alten Alpträumen !

KEVIN: Hey, was hab ich dir jemals getan ?

BECKY: [wütend] Als ob du das nicht ganz genau wüßtest !

[BECKY geht weiter]

ERZÄHLER: Bei anderen wiederum fällt es nicht ganz so leicht, einfach Lebewohl zu sagen. Zum Beispiel bei ...

[Musik des Verzückens erklingt, als KEVIN am Ende des Gangs plötzlich seine ehemalige Englischlehrerin, MISS WHITE, entdeckt, die sich gerade mit einer anderen Lehrerin unterhält.]

KEVIN: [ruft] Miss White !

ERZÄHLER: ... Miss White, meiner alten Englischlehrerin, meiner heimlichen Liebe.

[MISS WHITE dreht sich zu ihm um - und KEVIN erkennt erstaunt, daß sie schwanger ist.]

MISS WHITE: [zeigt auf ihren Bauch] Mrs. Heimer - schon wieder vergessen ?

KEVIN: Oh, natürlich !

[MRS. HEIMER dreht sich wieder um und geht dann mit der anderen Lehrerin langsam in Richtung Ausgang. Während KEVIN ihr noch hinterherblickt, gesellt sich PAUL zu ihm, der ebenfalls etwas erstaunt auf ihren Bauch blickt.]

PAUL: Meine Güte ! Was ist mit der passiert ?

INT. TAG. SPORTHALLE
KEVIN und seine Klasse stehen in vier Reihen auf dem Parkett und blicken zu Ed CUTLIP, dessen Herannahen von einem Trommelwirbel begleitet wird.

ERZÄHLER: Eins war jedenfalls klar: Vieles von dem, was passierte, bot keinen besonders schönen Anblick.

[CUTLIP baut sich vor der Klasse auf.]

CUTLIP: Männer ! [Pause] Ich habe eine gute Nachricht und - eine weniger gute Nachricht.

ERZÄHLER: Ed Cutlip. Der Mann, der Erzieher - das Klischee.

CUTLIP: Die gute Nachricht ist die, daß wir nach drei Jahren harten Unterrichts, übermenschlicher Anstrengung und völliger Hingabe meinerseits, nun in der Lage seid, euren Weg fortzusetzen. Und was die schlechte Nachricht angeht - ich werde euch nicht begleiten können. Ich setze meine Tätigkeit nämlich ... [hält ein bedrucktes Blatt Papier in die Höhe] ... hier fort, am Northeast Collage of the Great Plains, Indianapolis Campus, Indianapolis, Indiana ... Postfach 294. Ab August bin ich dort stellvertretender Leiter des Fachbereiches Sport - gleichsam der Gipfel des Erfolgs. [Fanfaren erklingen] Aber vorher gebe ich euch noch einen Gedanken mit auf den Weg. Tragt ihn auf ewig in eurem Herzen. Es kommt der Tag, da denkt ihr an Coach Cutlip zurück.

[CUTLIP dreht der Klasse den Rücken zu, breitet die Arme aus und blickt nach oben. Einige Schüler tun es ihm gleich, können aber an der Decke nichts interessantes finden.]

CUTLIP: [theatralisch] Endlich frei. Endlich frei. Dank Gott dem Herrn sind wir endlich frei.

Anmerkung: Dieses Zitat, "Free at last. Free at last. Thank God Almighty, we are free at last", ist ein Teil aus Martin Luther King's Rede vom 28. August 1963.

[Die Schüler sehen erst CUTLIP, dann sich selbst untereinander betreten an.]

ERZÄHLER: Wir waren Zeuge vom Ende einer Ära.

CUTLIP: [heftig] Ab !

EXT. ABEND. HAUS DER COOPERS
WINNIE, immernoch mit dem rechten Bein in Gips - sie hatte einen Autounfall in der Folge "The Accident" - und KEVIN sitzen nebeneinander auf dem Rasen vor WINNIEs Haus.

ERZÄHLER: Einer Ära, die von Leibeserziehung direkt zur Liebe führte. [räuspert sich] Platonisch gesprochen.

WINNIE: Ich frag mich, was aus uns werden soll.

KEVIN: [fragend] Aus uns ?

ERZÄHLER: Ich hatte mir über diese Frage auch schon mehr als einmal Gedanken gemacht.

WINNIE: Aus uns allen.

KEVIN: Oh.

WINNIE: Ich meine, nächstes Jahr. In der Highschool. Ob alles gutgeht ?

KEVIN: Ja. Wieso nicht ?

WINNIE: Ich weiß auch nicht. Es kommt mir manchmal so vor, als liegen die besten Tage hinter uns. Haben sie eigentlich etwas bedeutet oder nicht ?

ERZÄHLER: Die gute alte Winnie. Man mußte sie einfach lieben. Wie ihre verletzlichen Rehaugen nach meinem männlichen Trost suchten.

KEVIN: [zuversichtlich] Natürlich wird alles gutgehen. Es wird einfach toll ! Wir gehen alle wieder auf dieselbe Schule - ich, du ... [blickt auf WINNIEs Bein; leise, abgelenkt] Paul ...

ERZÄHLER: Man, ihr Gips machte mich ganz verrückt !

WINNIE: Oh. Dann hat ... [Pause; traurig] Paul es dir nicht erzählt ?

KEVIN: Nein. Was denn ?

WINNIE: Nicht so wichtig.

KEVIN: Doch. Was ist los ? Hat er 'ne neue Freundin ? Oder kriegt er Kontaktlinsen ?

ERZÄHLER: Immerhin war dieser Kerl mein bester Freund. Es gab nichts, was er mir verheimlichte.

[Ein leises Grollen, wie vor einem Gewitter, ist zu hören.]

WINNIE: Kevin, er wird auf eine andere Schule gehen, einer ... [kurze Pause, dann leise, als ob sie ein verbotenes Wort ausspricht] ... Privatschule.

[Bei diesem Wort donnert es und das bläuliche Licht eines Blitzes macht KEVINs erschreckten, überraschten und schockierten Gesichtsausdruck sichtbar.]

KEVIN: [schockiert] Was ?

INT. TAG. CAFETERIA
KEVIN und PAUL sitzen an einem der Tische im Speisesaal der Schule, der zur Zeit völlig überfüllt und dementsprechend laut ist.

KEVIN: Paul, sag mir, daß das 'ne Lüge ist !

PAUL: Weißt du Kevin, ich wollte es dir wirklich sagen, aber ...

KEVIN: Das kann ich nicht glauben ! Auf eine Privatschule ? Paul, kein normaler Mensch geht da hin !

ERZÄHLER: Zumindest kein normaler Freund von mir.

KEVIN: Paul ...

PAUL: [leise, fast flüsternd] Mach bloß keine riesen Sache daraus !

KEVIN: So 'ne blöde Idee kommt bestimmt von deinen Eltern.

[PAUL sieht ihn nur an, antwortet aber nicht.]

KEVIN: [entsetzt] Das war auch noch deine Idee ?!

PAUL: [will ihn beruhigen] Kev, das ist nur 'ne Tagesheimschule. Nachmittags bin ich wieder zu Hause.

KEVIN: "Nur 'ne Tagesheimschule" ! Was ziehst du da an ? [abfällig] Rüschenkleidchen mit Hüllunterröcken ?

ERZÄHLER: Gut, das war gemein, ich geb's ja zu. Es sollte aber auch gemein sein. Ich liebte diesen Kerl.

KEVIN: Hör zu. Paul, es geht nicht bloß um dich - es geht um uns ! Ist dir das völlig gleichgültig ?

PAUL: Kev, das ist doch kein Weltuntergang !

INT. TAG. CHEMIERAUM
KEVIN und PAUL sitzen nebeneinander in der vorletzten Reihe, während Mr. CUTLIP, in Schutzkleidung, hinter seinem Tisch steht, wo verschiedene Fläschen und Halter zu einer Versuchsanordnung aufgebaut sind.

CANTWELL: [monoton] Das Armageddon. Der Mensch kommt an seine Grenzen. Die Kernspaltung, das Auseinanderreißen der engsten natürlichen Verbindungen. Seht jetzt gut zu !

ERZÄHLER: Na schön, ich war sauer. Ich fühlte mich verloren. Mein bester Freund hatte mich hintergangen. Dazu konnte man nur noch eins sagen:

KEVIN: [leise] Also, hast du deine Polo-Ausrüstung schon bereitgelegt ?

PAUL: [verständnislos] Was ?

KEVIN: [sarkastisch] Ich würde anfangen, Pfeiffe zu rauchen, Paul. Das wär doch so richtig schön blöd.

ERZÄHLER: Ja. Diese Sache sollte mit Reife behandelt werden.

KEVIN: Ach ja - neue Unterwäsche brauchst du auch. Die Jungs da sollen ja am liebsten Pink tragen.

CANTWELL: Bitte ! Das wichtigste ist volle Konzentration !

ERZÄHLER: Aber das war mir egal. Ich war gerade in Fahrt.

KEVIN: Wenn du meinen Rat willst, Privatflasche ...

PAUL: Das muß ich mir echt nicht anhören !

KEVIN: ... völlig egal, was du da tust, iß bloß nie, niemals, in der Öffentlichkeit Spaghetti ! [Die umsitzende Schüler lachen]

PAUL: Okay, ich hab genug ! [steht auf]

KEVIN: So, und was willst du nun machen ?

CANTWELL: Herrschaften, bitte beruhigt euch ! Hört auf !

ERZÄHLER: Aber plötzlich wußte ich, was nötig war. Etwas Einprägsames, etwas Liebevolles ...

[KEVIN steht auf - und schickt PAUL mit einem Faustschlag zu Boden. Mr. CANTWELL hat die ganze Szene beobachtet und dabei ausversehen Chemikalien verschüttet.]

CANTWELL: Oh je.

ERZÄHLER: Und so ...

[Der leere Gang vor dem Chemieraum wird eingeblendet - und plötzlich gibt es einen Knall, eine Explosion. Dunstschwaden kommen unter der Tür hervor und die Feuersirene heult los. In allen umliegenden Räumen reißen Schüler die Türen auf und rennen, eher fröhlich als bestürzt, den Gang entlang.]

ERZÄHLER: ... endete die neunte Klasse mit einem Knalleffekt.

EXT. TAG. GARAGE
KEVIN spielt allein, vor der Garage seines Hauses, im feinen, schwarzen Jackett Basketball.

ERZÄHLER: Der Tag der Abschlußfeier. Ich dachte, ich feile ein bißchen an meinem Sprungwurf. Mir war gar nicht nach einer Abschlußfeier zumute. Ich war eher in der Stimmung, Körbe zu werfen. Bei einem Basketballkorb wußte man wenigstens, woran man war. Er bewegte sich nicht und ging auch nicht auf die Privatschule. Nein, ein Korb blieb, wo er war.

[KEVIN trifft wieder, aber der Ball trifft den Korb wohl etwas zu hart. Als er bereits wieder auf dem Boden aufgeprallt ist, knirscht das Holz des Garagendaches und der Korb neigt sich etwas nach vorne. Nachdem er einige Sekunden dort hängt, fällt er ganz ab.]

INT. TAG. HAUS DER ARNOLDS
Die Türklingel ertönt und KEVIN öffnet. PAUL steht vor der Tür. In der Hand hält er ein kleines, längliches Päckchen.

KEVIN: [überrascht] Paul !?

PAUL: [trocken] Glückwunsch zum Abschluß. [Pause] Da ist 'ne Taucheruhr drin. Hoffentlich ersäufst du damit. [wirft KEVIN das Päckchen zu und geht.]

EXT. TAG. STRASSE
KEVIN läuft allein und gemächlich an einer Straße entlang.

ERZÄHLER: Ich ging spazieren, Straßen entlang, die ich einmal gut gekannt hatte, vor langer Zeit, als das Leben noch ... einfach war ...

[KEVIN kommt an einem hohen Gitterzaun vorbei, hinter dem ein Spielplatz aufgebaut ist - ein Klettergerüst, eine Rutsche, eine Schaukel. Drei kleine Kinder klettern auf dem Gerüst herum, und KEVIN bleibt stehen und beobachtet sie.]

ERZÄHLER: Als alles ... neu war ...

[KEVIN beobachtet weiterhin die drei Kinder und erinnert sich an die Zeiten, als er selbst, PAUL und WINNIE klein waren. Leise, traurige Musik erklingt, während alte Aufnahmen vom kleinen KEVIN, von PAUL und WINNIE eingeblendet werden, die auf demselben Spielplatz herumtoben. Nach einigen Sekunden endet KEVINs Erinnerung, und er findet sich an den Zaun geklammert stehen. Die Musik verklingt langsam, während der ERZÄHLER KEVINs Gedanken vollendet.]

ERZÄHLER: Ich glaube, da wurde mir klar, daß die alten Zeiten vorbei waren. Alles hatte sich verändert und würde nie mehr so werden wie früher.

[Im Hintergrund kommt ein kleiner VW Käfer angerollt, hupt zweimal und bleibt dann direkt neben KEVIN stehen. Der Motor läuft weiter, und Miss White - Pardon, MRS. HEIMER - beugt sich aus dem Fenster.]

MRS. HEIMER: Kevin ! [Keine Reaktion] Kevin !

KEVIN: Mmh ? [dreht sich um; überrascht] Miss ... Mrs. Heimer !

ERZÄHLER: Vielleicht war es Zufall - vielleicht war es auch Schicksal. Wie auch immer.

MRS. HEIMER: Du siehst betrübt aus. Willst du nicht mitfahren ?

ERZÄHLER: Ich fuhr mit.

[Kurz darauf sitzt KEVIN auf dem Beifahrersitz und sieht MRS. HEIMER beinahe pausenlos an. Nach einer Weile biegt sie um eine Kurve und fährt ihren VW Käfer auf einen kleinen Sandparkplatz neben der Straße, von dem aus man einen Blick von oben auf den Vorort, in dem KEVIN wohnt, werfen kann. MRS. HEIMER hält an, steigt aber nicht aus. Auch KEVIN bleibt sitzen.]

MRS. HEIMER: Es ist hübsch hier, nicht ? [Pause] Ich komme oft her, um nachzudenken.

ERZÄHLER: Komisch. Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte ich mir den rechten Fuß abschneiden lassen, um mit dieser Frau, bei der ich Englisch hatte, zusammen zu sein. Aber das war ewig her. In der siebten Klasse.

MRS. HEIMER: Erzähl - wie läuft's denn ?

KEVIN: Nicht schlecht.

MRS. HEIMER: Ah ja.

KEVIN: Heute geht die Junior Highschool zu Ende.

MRS. HEIMER: Ich weiß.

KEVIN: Tja. Viel mehr gibt's nicht zu erzählen. [kurze Pause]

MRS. HEIMER: Und sonst hast du nichts ?

ERZÄHLER: Am liebsten hätte ich ihr alles erzählt. Ich hätte nichts lieber getan, als ihr von Paul zu erzählen, von Paul, von Winnie, von meiner Familie, ihr zu sagen, daß die Jahre mit ihnen mit mehr bedeuteten als das Leben selbst und daß ich diese kostbaren Tage, ganz egal, wie lange ich leben würde, immer wie einen Schatz hüten würde.

KEVIN: Nein. [lange Pause; leiser] Das heißt, ich fürchte, ich bin nicht reif für all das ... Neue.

ERZÄHLER: Aber ich glaube, Veränderungen lassen sich nunmal nicht aufhalten, egal, wie sehr man sich das Gegenteil wünscht. Und so war es auch in diesem Augenblick.

MRS. HEIMER: [hält sich den Bauch] Kevin - ich glaube, wir sollten losfahren.

KEVIN: Und wohin ?

MRS. HEIMER: Ins Krankenhaus, und zwar schnell.

[Ein leises Wiegenlied erklingt, als KEVIN nach einem Blick auf ihren Bauch begreift.]

KEVIN: [fassungslos] Oh mein Gott !

MRS. HEIMER: [leise] Du mußt mich hinfahren.

KEVIN: [angsterfüllt] Ich ? Aber ich kann überhaupt nicht Auto fahren. Oh mein Gott ! Hilfe !!

[Sein Schrei hallt über die Stadt hinweg. Schließlich stolpert KEVIN aus dem Auto, rennt herum, um MRS. HEIMER die Tür zu öffnen und führt sie dann langsam wieder darum herum. Er setzt sie vorsichtig auf den Beifahrersitz, schließt die Tür, stolpert zur Beifahrertür, steigt ein und hantiert wie wild an der Kupplung und am Lenkrad herum. Schließlich findet er das Gaspedal, und sofort setzt sich das Auto in Bewegung - rückwärts. KEVIN bremst sofort ab und fährt nach vorne los, wobei er pausenlos auf die Bremse drückt, so daß der Käfer alle zehn Meter zum Stillstand kommt. Und während dieser Zeit spricht er immer wieder nur zwei kleine Sätze: "Hilfe !" und "Oh mein Gott!"]

INT. TAG. VERSAMMLUNGSSAAL und EXT. TAG. STRASSE
Ab sofort wechseln sich zwei Szenen gegenseitig ab und werden durch dieselbe, feierliche Musik begleitet: Der Käfer, den KEVIN fährt, und der Versammlungssaal, in dem wie beim letzten Mal wieder alle Schüler, Lehrer und Verwandte versammelt sind, während Mr. DIPERNAs Stimme durch die Lautsprecher ertönt.]

DIPERNA: Absolventen des Jahrgangs '71, seid willkommen !

[KEVIN fährt, immernoch mit demselben Fahrstil, eine verlassene Straße entlang.]

DIPERNA: Heute haben wir einen besonderen Grund zum Feiern, denn heute ist kein gewöhnlicher Tag.

[KEVIN bekommt das Auto immernoch nicht unter Kontrolle.]

DIPERNA: Es ist der Zeitpunkt, Herausforderungen anzunehmen.

[Der VW Käfer erreicht das Krankenhaus und bleibt mitten auf der Einfahrt vor dem Eingang stehen. KEVIN steigt aus.]

KEVIN: [scheinbar ruhig, zu MRS. HEIMER] Ich komm gleich wieder. [rennt zum Eingang] HILFE !

DIPERNA: Der Zeitpunkt, um nach vorn zu sehen. Der Zeitpunkt, um zurückzublicken.

[KEVIN sitzt zwischen zwei Erwachsenen Männern, die ihre Unruhe auch nicht besser unterdrücken können als er.]

ERZÄHLER: An diesem Junitag 1971 sah ich der Wahrheit ins Auge. Der Wahrheit über mich, der Wahrheit über mein Leben. Die Welt, die ich gekannt hatte, hatte sich verändert. Und jetzt - gab es kein Zurück mehr.

[Eine Krankenschwester kommt ins Wartezimmer. KEVIN und die beiden Männer schauen sie unruhig an, in der Hoffnung, daß ihr Warten ein Ende hat. - Sie deutet auf KEVIN, der sein Glück zuerst gar nicht fassen kann. Wenig später findet er sich in einem der Krankenzimmer wieder, in dem MRS. HEIMER liegt, mit ihrem Baby im Arm.]

MRS. HEIMER: Nimm das Kind. [reicht es KEVIN]

ERZÄHLER: Man kann wohl sagen, daß ich an diesem Nachmittag die Zukunft in meinen Armen hielt. Ich wurde Vater - na ja ... gewissermaßen. Und am Abend ...

INT. ABEND. VERSAMMLUNGSSAAL
Das gleiche Szenario, wie auch sonst. Diesmal ist KEVIN jedoch mit dabei.

DIPERNA: Meine Damen und Herren ! Der Jahrgang 1971. [Applaus]

ERZÄHLER: ... bekam ich meinen Junior-Highschool-Abschluß.

DIPERNA: Kevin Arnold !

[KEVIN kommt, wie die anderen aufgerufenen Schüler auch, hinter einem Vorhang hervor, nimmt sein Abschlußzeugnis entgegen und erntet freundlichen, wenn auch nicht sehr lauten Applaus.]

WAYNE: [rufend, jubelnd] Ja ! Hu !! Blödsack !

DIPERNA: Herzlichen Glückwunsch !

ERZÄHLER: Aber ich war nicht der einzige.

DIPERNA: Anthony Barbella !

[Die Menge tobt.]

DIPERNA: [leise, zu TONY] Du hast es geschafft !

[TONY verläßt, wie zuvor KEVIN, auf der anderen Seite die Bühne.]

DIPERNA: Randell Mitchell.

ERZÄHLER: Um mich herum waren die Leute, die mein Leben mitgeprägt hatten ...

DIPERNA: Douglas Porter ! [leise] Meinen Glückwunsch] [ruft wieder auf] Rebecca Slater !

[Auch BECKYs Auftritt wird von der Menge laut kommentiert, allerdings nicht auf dieselbe freundliche Art wie bei TONY.]

ERZÄHLER: ... und es - jeder auf seine Weise - bereichern würde.

DIPERNA: Ich wünsche euch allen viel Glück ! [Applaus]

[Etwas später. DIPERNA hat sich zu den anderen Lehrern gesetzt, deren Stühle in einem Halbkreis hinter dem Podium aufgestellt sind. PAUL steht statt dessen am Podium. Er hält dieses Jahr die Abschlußrede.]

PAUL: Wie schnell ist alles Vergangenheit und wir stellen uns der Zukunft entgegen, mit unseren Hoffnungen, unseren Träumen und unseren Erinnerungen.

ERZÄHLER: Um mich herum waren die Leute, die ich liebte.

PAUL: Jeder von uns, die wir hier stehen, am Ende der einen Etappe, am Beginn der nächsten, sollten mit den anderen ein gemeinsames Band knüpfen. Schwören wir einander, daß wir unsere Zeit an der Kennedy Junior Highschool nie vergessen, genausowenig wie die Leute, die hier ... unsere Freunde wurden. [er blickt zu KEVIN]

[Eine lange Pause, dann beginnt der Applaus, erst leise, dann immer lauter, und endet mit Standing Ovations.]

EXT. TAG. HAUS DER ARNOLDS
PAUL und KEVIN stehen auf der Bürgersteig vor dem Haus.

ERZÄHLER: Ich kann gar nicht sagen, was ich in diesem Sommer eigentlich gemacht habe. Er verflog wie in einer Art Rausch.

[Sie entdecken WINNIE, die zu ihnen läuft - ja, läuft. Sie hüpft kurz um zu zeigen, daß ihr linkes Bein wieder geheilt ist.]

WINNIE: Hi !

ERZÄHLER: Aber ich erinnere mich noch gut an das grüne Gras, die Rasensprenger, den Duft von Grillfesten und die Nähe von Freunden.

[KEVIN, PAUL und WINNIE stehen vor dem Haus und sehen einander nur an. Die Haustür öffnet sich und WAYNE kommt ein kleines Stück hinaus.]

WAYNE: Hey, Blödsack ! Das Essen ist fertig.

KEVIN: Ich komme sofort.

[WAYNE geht ins Haus zurück und schließt die Tür.]

ERZÄHLER: Wir hatten es nicht eilig. Vor uns lagen neue Orte, neue Zeiten - aber in diesem Moment ...

PAUL: Nächstes Jahr machen wir unsere Führerscheine, häh !

[Der Refrain von Joe Cocker's "With A Little Help From My Friends", der Titelmusik von "Wunderbare Jahre", beginnt.]

KEVIN: [freudig] Ja !

ERZÄHLER: ... wünschte ich, daß die alten nie enden würden.

CLOSING TITLES
Dieses Transcript wurde von Daniel G.



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09/10/01 19:50