Folge 63: Hallo, Schätzchen
Drehbuch: Eric Gilliland



OPENING TITLES
OPENING SEQUENCE
ERZÄHLER: Eins steht fest: Als ich vierzehn war, war ich ein ziemlich cooler Typ.

[KEVIN schlendert cool einen Schulkorridor entlang, gibt einem vorbeikommenden Jungen fünf und geht weiter zu seinem Schließfach.]

ERZÄHLER: Ich gehörte vielleicht nicht zu den Ultracoolen ...

[KEVIN wird von einem größeren Jungen angerempelt. Er sieht sich kurz um, sagt aber nichts. Er geht weiter.]

ERZÄHLER: ... aber in meiner Klasse lag ich auf jeden Fall im oberen Drittel. Ich hatte einen coolen Gang, eine coole Art zu reden, ich hatte meinen eigenen coolen Stil.

EXT. NACHMITTAG. HAUS DER ARNOLDS
KEVIN kommt bei der Einfahrt an. Er sieht sich vorsichtig um und geht dann weiter, zur Hintertür.

ERZÄHLER: Aber ich hatte - wie so viele coole Kids in meinem Alter - einen tragischen wunden Punkt, ein grausiges Geheimnis, das drohend über meinem zerbrechlichen Image schwebte.

INT. NACHMITTAG. KÜCHE
KEVIN kommt durch die Hintertür in die Küche. NORMA steht am Spülbecken.

ERZÄHLER: Ich, Kevin Arnold, ...

NORMA: Hallo Schatz !

KEVIN: Hallo Mom.

ERZÄHLER: ... hatte eine Mutter !

NORMA: Lief in der Schule alles gut ?

KEVIN: Ja. [setzt sich an den Tisch]

NORMA: Schön, das freut mich.

ERZÄHLER: Um Mißverständnissen vorzubeugen: Ich mochte meine Mutter. Sie war gut zu mir.

NORMA: Hast du Hunger ?

KEVIN: Nein.

NORMA: [zweifelnd, überredend] Mmh ?

KEVIN: Na ja, etwas.

NORMA: Gut. Ich hab dir nämlich einen überbackenen Käsetoast gemacht. [holt ihn aus dem Herd]

ERZÄHLER: Sie machte mir überbackenen Käsetoast ...

NORMA: Milch ?

KEVIN: Ja, danke.

ERZÄHLER: ... sie goß mir Milch ein ...

NORMA: Oh, den Knopf an deinem Lieblingshemd hab ich auch angenäht. Du kannst es gleich morgen anziehen.

ERZÄHLER: ... sie nähte meine Knöpfe an ...

KEVIN: Das ist toll, Mom.

NORMA: Ja. Und ich bin für dich einkaufen gegangen !

KEVIN: [unwohl] Wirklich ?

NORMA: [bejahend] Mmh.

ERZÄHLER: Seien wir ehrlich: Die Frau liebte mich ! Sie kannte mich besser als jeder andere Mensch auf der Welt. Und genau darin lag das Problem !

[NORMA hat eine Papiertüte geholt.]

NORMA: Sieh nur: Unterwäsche ! Deine Lieblingssorte.

ERZÄHLER: Sie wußte zuviel !

INT. NACHMITTAG. WOHNZIMMER
KEVIN sitzt an einem Ende der Couch und sieht fern, JACK liest am anderen Ende Zeitung. WAYNE sitzt zwischen ihnen, NORMA glättet das Tischtuch auf dem Eßtisch.

ERZÄHLER: Aber dieses Wissen beschränkte sich, wie bei vielen Hausfrauen ihrer Generation, im wesentlichen auf ihren Bereich.

NORMA: Jack, der Trockner hat wieder Ärger gemacht. Ich hab den Filter gewechselt - nun geht er wieder.

[JACK brummt (wahrscheinlich genervt von der Tatsache, daß schon wieder etwas kaputtgegangen ist.)]

NORMA: Und ich hab einen neuen Duschvorhang für's Bad bekommen !

ERZÄHLER: Solange das, was sie in ihrer Welt machte, nicht dem in die Quere kam, was wir in unserer Welt machten, war uns alles Recht.

NORMA: [zögert] Und, ähm, ich hab wichtige Neuigkeiten ! [kurze Pause; stellt sich vor den Fernseher] Ich hab im Supermarkt an der Kasse gewartet und vor mir in der Schlange stand Marissa Newborne. Sie hat mir erzählt, daß ihre Nachbarin gerade aufgehört hat zu arbeiten und daß man einen Ersatz für sie braucht, nur vorübergehend. [sieht JACK und KEVIN erwartungsvoll an]

JACK: [nicht verstehend] Und ?

NORMA: Also bin ich hingegangen. Ich müßte nur etwas tippen und Akten sortieren - nichts Schwieriges. Und ich habe früh genug Feierabend, um für uns zu kochen. Was denkt ihr ?

ERZÄHLER: Offensichtlich erwartete sie von uns einen Sturm der Begeisterung, wie halbherzig er auch sein mochte.

JACK: Bitte - von mir aus gern.

KEVIN: [halbherzig] Klingt toll, Mom.

WAYNE: Mom ! [Pause]

NORMA: Mmh ?

WAYNE: Geh mal zur Seite ! Du stehst im Bild !

NORMA: [enttäuscht] Oh. Tut mir leid. [geht zur Seite]

ERZÄHLER: Damit war die Entscheidung wohl gefallen.

NORMA: Also dann ... ist ja alles klar.

ERZÄHLER: Wenn ihr ein bißchen unbedeutende Büroarbeit den Tag versüßen konnte ... warum nicht ?

[NORMA geht in Richtung Flur. Kurz bevor sie nicht mehr im Bild ist, sieht JACK sich zu ihr um.]

JACK: [ruft] Und was ist das nun für ein Job ?

NORMA: [ruft] Der Sekretärinnenposten in Kevins Schule !

[KEVIN blickt erschrocken auf. WAYNE grinst schadenfroh.]

ERZÄHLER: Das war der schlimmste Alptraum eines coolen Typen !

INT. NACHMITTAG. SCHLAFZIMMER
KEVIN kommt ins Schlafzimmer, wo NORMA gerade eine halb verstaubte Schreibmaschine von einem Schrank herunterholt.

KEVIN: Mom ? Also, was diesen Job angeht ...

NORMA: Kannst du dir mir bitte mal abnehmen, Schatz ? [gibt ihm die Schreibmaschine] Ich hab schon eine Ewigkeit nicht getippt ! [lachend] Aber Fahrradfahren verlernt man ja auch nicht !

ERZÄHLER: Die Sache war ja wohl etwas kritischer als Schreibmaschineschreiben oder Fahrradfahren !

KEVIN: Mom ? Denkst du, das ist 'ne gute Idee ? Ich, äh, frage mich nur, ob du dir das alles auch gut überlegt hast.

NORMA: Wie soll ich das verstehen, Schatz ?

KEVIN: Na ja, so eine wichtige Entscheidung solltest du nicht überstürzen, verstehst du ?

NORMA: Oh. [lacht] Na sicher.

ERZÄHLER: Na also ! Nun mußte ich nur noch die Konsequenzen genauer ausmalen.

NORMA: [zeigt KEVIN zwei Kostüme] Welches von diesen beiden soll ich anziehen ?

KEVIN: Mom ! [kurze Pause]

NORMA: [gerührt] Kevin ! Du machst dir darüber offenbar richtige Sorgen !

ERZÄHLER: Diese Frau war ja so sensibel !

KEVIN: Äh, ja ...

NORMA: Das brauchst du aber nicht. Ich hab zwar mehr zu tun, aber du kommst deshalb sicher nicht zu kurz.

KEVIN: [verwirrt] Was ?

NORMA: Auch wenn ich Arbeit habe, bleibe ich immernoch deine Mutter. Und du bleibst immernoch mein Söhnchen ! [tätschelt ihm den Kopf]

ERZÄHLER: Was nicht gerade ein beruhigender Gedanke war !

NORMA: Gib sie her ! [nimmt ihm die Schreibmaschine wieder ab]

ERZÄHLER: Trotzdem dachte ich, Mom würde früher oder später einsehen, wie blöd die Idee war. Sie brauchte nur etwas Zeit, um sich darüber klar zu werden.

[KEVIN will gehen.]

NORMA: Wann fahren wir denn morgen früh los ?

[KEVIN bleibt wie angewurzelt stehen.]

KEVIN: Schon morgen ?

NORMA: Ich fang gegen neun an. Wir können gemeinsam zur Schule fahren.

KEVIN: Danke. Aber ich fahre sicher Bus.

INT. MORGEN. AUTO
KEVIN sitzt neben NORMA - im knallgelben Kostüm samt Hut - im Auto. Anscheinend mißfällt ihm diese Situation sehr.

NORMA: Das ist witzig, nicht ?

ERZÄHLER: Soviel zum Thema "öffentlicher Nahverkehr".

NORMA: Also ich hab dich noch nie so trödeln sehen wie ausgerechnet heute früh !

KEVIN: [ironisch] Entschuldige. [NORMA merkt nichts]

NORMA: Bin ich richtig angezogen ?

ERZÄHLER: Ich fand, sie sah aus wie die Frau eines Astronauten.

KEVIN: [halbherzig] Du siehst super aus, Mom !

ERZÄHLER: Unsichtbar hätte sie mir noch besser gefallen.

NORMA: [ehrlich] Es tut mir nur leid, daß wir uns bestimmt kaum sehen können.

KEVIN: [horcht auf; verbirgt seine Freude] Warum nicht ?

NORMA: Weil ich höchstwahrscheinlich zwischendurch nicht aus dem Büro raus kann. Ich werd mich nicht mal bei dir blicken lassen können.

KEVIN: [grinsend] Wirst du nicht ?

ERZÄHLER: Na, das machte die Sache doch schon wesentlich besser !

[NORMA fährt langsam in eine Parklücke. In der Nähe steht ein Schulbus. Hunderte Schüler jeder Altersgruppe strömen dem Eingang entgegen.]

ERZÄHLER: Vielleicht würde es gar nicht so schlimm werden. Wenn wir erstmal in der Schule waren, würde vielleicht niemand merken, daß sie überhaupt da war.

[Beide steigen aus.]

ERZÄHLER: Aber ... noch waren wir nicht in der Schule !

NORMA: Fertig ?

[KEVIN sieht sich schwer atmend um - und trifft eine Entscheidung. Er bückt sich hinter dem Auto, so daß weder die Schüler noch NORMA ihn sehen können.]

NORMA: [sieht sich besorgt um] Kevin ?

KEVIN: Äh, geh du schonmal vor, Mom ! Ich habe, äh, einen Knoten im Schnürsenkel !

NORMA: Ähm, ich werd dir helfen ! [kramt in ihrer Handtasche] Ich glaub, ich hab noch einen Schnürsenkel in meiner ...

KEVIN: Nein ! Nein, es geht schon. Danke.

NORMA: Mmh, ich will pünktlich da sein.

KEVIN: Aber natürlich. Geh nur schon rein.

NORMA: Also bis dann. [geht]

KEVIN: Ja, Mom. [blickt ihr vorsichtig hinterher]

INT. VORMITTAG. UNTERRICHTSRAUM
Es klingelt. KEVIN sitzt inmitten anderer Schüler an einem Einzeltisch.

ERZÄHLER: Damit hatte ich die kritische Phase überwunden, das Minenfeld durchquert. Nachdem Mom sicher im Sekretariat versteckt war, fühlte ich mich wieder gut - wieder cool !

[Plötzlich steht PAUL vor ihm.]

PAUL: Hey Kev ! Ich hab jemanden im Sekretariat getroffen: Deine Mom ! Oh, sie hat mir was für dich mitgegeben.

[PAUL holt einen Schnürsenkel aus der Tasche und hält ihn an einem Ende in die Luft, so daß alle ihn in seiner ganzen Länge und Pracht sehen können. KEVIN ist entsetzt.]

ERZÄHLER: Um Gottes Willen ! Es gab nur einen Weg, die Sache wieder hinzubiegen.

KEVIN: [lacht künstlich] Das war echt ein guter Witz, Paul !

PAUL: Hä ?

KEVIN: Meine Mutter ? So'n Quatsch ! Ich hab nicht mal 'ne Mutter !

PAUL: Was ?

KEVIN: Na ja, natürlich hab ich 'ne Mutter - aber sie ist nicht hier, Paul ! [greift nach dem Schnürsenkel; leise] Gib her !

PAUL: Ich hab sie doch gerade noch gesehen ...

KEVIN: Hast du nicht, Paul !

PAUL: Ich weiß es genau !

KEVIN: Tust du nicht, Paul ! Du hast nirgends meine Mutter getroffen - hab ich mich klar ausgedrückt ?

[Es klingelt wieder.]

PAUL: [verstehend] Oh.

LEHRER: Setzt euch bitte ! Setzen !

ERZÄHLER: Ich hatte mich einigermaßen geschickt aus der Affäre gezogen, aber wenn ich diese Geschichte überleben wollte, mußte ich mich im Hintergrund halten, öffentliche Auftritte vermeiden, Situation wie ...

[Es klingelt lange und schrill.]

ERZÄHLER: ... zum Beispiel ...

[Alle Schüler außer KEVIN springen fröhlich auf, rufen freudig "Feueralarm !" und rennen dem Ausgang entgegen. KEVIN bleibt allein im Raum sitzen.]

EXT. VORMITTAG. SCHULE
Hunderte Schüler stürmen freudig und lachend aus dem Haupteingang und versammeln sich davor.

ERZÄHLER: Normalerweise war ein Probe-Feueralarm in der Junior Highschool so aufregend wie ... vier Wochen Ferien auf zehn Minuten komprimiert ! Aber während alle anderen sich amüsierten, war ich damit beschäftigt, in alle Richtungen zu spähen.

[KEVIN entdeckt NORMA, die die Stufen zu einer Art Tribüne oder etwas in der Art emporsteigt und am stellvertretenden Direktor, Mr. DIPERNA vorbeikommt.]

KEVIN: [zwischen zusammengebissenen Zähnen; zu PAUL] Da vorn ist sie !

PAUL: Wer ?

KEVIN: Meine Mutter. [dreht sich weg] Was tut sie gerade ?

PAUL: Oh. Sie unterhält sich mit Mr. DiPerna.

KEVIN: [entsetzt] DiPerna ?!

ERZÄHLER: Na toll ! In mein Revier einzudringen war wohl noch nicht schlimm genug - jetzt verbrüderte sie sich auch noch mit dem Todfeind !

KEVIN: Ich glaub einfach nicht, was ich da sehe ! [versteckt sich hinter PAUL]

PAUL: Kev, jetzt mach doch keine Staatsaffäre daraus ! Du versteckst dich vor deiner Mutter, deinem eigenen Fleisch und Blut !

ERZÄHLER: Er hatte gut reden - es war ja nicht sein Fleisch und Blut !

KEVIN: Paul, halt dich da raus, okay ?

PAUL: Nun hör auf, ja ! Was tut sie, was dir schaden könnte ?

KEVIN: Weißt du, äh ... [stoppt abrupt]

ERZÄHLER: Und plötzlich schämte ich mich. Paul hatte wie immer recht. Sie war meine Mutter, die Frau, die für mich kochte. Und für diesen einen Moment verzieh ich ihr alles.

NORMA: [von weitem] Huhu !

[NORMA, in ihrem knallgelben Kostüm und mit einem dazu passenden Hut, winkt KEVIN lächelnd zu und zeigt DIPERNA ihren Sohn.]

NORMA: Huhu ! Hallo Schatz !

ERZÄHLER: Aber auch nur für diesen einen Moment !

[Eine Sekunde herrscht Schweigen, während KEVIN gedemütigt neben PAUL steht. Dann drehen sich alle Schüler zu ihm um, zeigen auf ihn und lachen schallend. KEVIN verkriecht sich wieder hinter PAUL.]

INT. TAG. SCHULKORRIDOR
KEVIN und PAUL stehen bei ihren Schließfächern. Drei Mädchen kommen vorbei, bleiben kurz stehen und immitieren NORMA:

MÄDCHEN: Huhu ! Kevin ! [lachen und rennen davon]

ERZÄHLER: Das waren vermutlich die längsten sieben Unterrichtsstunden in meiner gesamten Schulzeit.

[Ein Junge kommt vorbei, grinst KEVIN an und sagt mit hoher Stimme:]

JUNGE: Hallo Schatz !

ERZÄHLER: Von einer Sekunde auf die nächste war ich vom Gipfel der Supercoolen in den tiefen Abgrund der Vollidioten geplumpst.

[KEVIN knallt sein Schließfach zu.]

KEVIN: [wütend; zu PAUL] Das ist deine Schuld !

PAUL: Meine ?

KEVIN: Ich weiß nicht, wieso mir sowas passiert !

PAUL: Das passiert, weil deine Mutter dich so mag, daß sie hallo sagt, wenn sie dich irgendwo sieht !

ERZÄHLER: Aber das stellte mich nicht zufrieden.

KEVIN: Paul, was soll ich denn jetzt tun ?

PAUL: Na ja, da kann man eigentlich nur eins tun: Geh zu ihr. Sag ihr, wie du dich fühlst.

KEVIN: [zögernd] Ich weiß nicht genau ... Nein, nein, das ist sicher nicht so gut.

[Noch mehr Mädchen kommen vorbei. Wieder ertönt das verhaßte ...]

MÄDCHEN: Kevin, huhu !

[Eins der Mädchen macht einen Kußmund. KEVIN fühlt sich immer mehr gedemütigt. Die Mädchen lachen und gehen weiter.]

INT. NACHMITTAG. KELLER
KEVIN kommt die Treppe hinunter in den Keller, wo NORMA gerade Wäsche aufhängt.

KEVIN: Mom !

NORMA: Mmh ?

KEVIN: Wir müssen uns unterhalten !

NORMA: Warum denn ?

KEVIN: Weißt du, na ja ...

ERZÄHLER: Es gab da ein kleines Problem: Wie erklärt man einer vierzigjährigen Hausfrau, die einem gerade die Tennissocken zusammenlegt, was "cool sein" heißt ?

KEVIN: Ist alles gut gegangen ?

NORMA: Ähm, ja, ich glaube, es war okay. Tja, um ehrlich zu sein: Ich war etwas nervös. Ich hatte mir das alles ganz anders vorgestellt, aber ... es hat Spaß gemacht. Denke ich. Und wenn das Tippen erstmal wieder besser geht, dann läuft dieser Job ganz von selbst.

KEVIN: Oh, gut !

ERZÄHLER: Das wäre es dann gewesen - wenn ich nicht davon überzeugt gewesen wäre, daß ich den Stier nun bei den Hörnern packen mußte.

KEVIN: Also, Mom ...

ERZÄHLER: Das würde nicht leicht werden. Soetwas erforderte Takt, Feingefühl.

KEVIN: ... wenn wir in der Schule sind, ... würdest du vielleicht ... aufhören, mit mir zu reden ? ... Oder ... mich zu beachten ... oder mich anzusehen ? [kurze Pause] Na ja, es muß ja niemand wissen, daß wir zusammen gehören.

[Eine Zeitlang sagt NORMA gar nichts, aber man sieht ihr an, was sie fühlt. Auch KEVIN scheint sich nicht ganz sicher zu sein, ob er das Richtige getan hat.]

NORMA: [schmerzerfüllt] Natürlich, Kevin. [kurze Pause; traurig] Wenn du es gern so hättest.

[Sanfte, traurig-depressive Gitarrenmusik beginnt.]

ERZÄHLER: Oho. Winston Churchill persönlich hätte das nicht besser hingekriegt.

[KEVIN scheint davon jedoch nicht so ganz überzeugt zu sein.]

EXT. MORGEN. PARKPLATZ
NORMA und KEVIN sind wieder gemeinsam zur Schule gefahren. NORMA steigt aus und geht los, ohne KEVIN noch einmal anzusehen. KEVIN sieht ihr nach und fühlt sich dabei irgendwie mies.

ERZÄHLER: Immerhin war im Laufe der nächsten paar Tage einiges anders. Jetzt, nachdem wir unsere kleine Unterredung gehabt hatten, hielt sich Mom strikt an ihr Wort.

INT. MITTAG. CAFETERIA
KEVIN sitzt mit anderen Jungen an einem Tisch. An dem Tisch hinter ihm sitzen einige Lehrer. Außerdem kommt NORMA hinzu und reicht einem von ihnen Unterlagen.

KEVIN: Hey, ist das nicht cool ?

ERZÄHLER: Und während ich versuchte, mein angekratztes Image zu kippen, ...

[KEVIN sieht NORMA. Sie merkt, daß er sie anblickt, schaut aber schnell weg und geht dann.]

ERZÄHLER: ... verwandelte sich Norma Arnold in eine Fremde.

INT. TAG. JUNGENTOILETTE
KEVIN steht vor dem großen Spiegel bei den Waschbecken.

ERZÄHLER: Am Freitag ging es mir dann ziemlich mies bei dem Gedanken, was ich da angerichtet hatte. Mal ehrlich: Inwiefern schadete mir Mom denn eigentlich ?

[TONY Barbella kommt aus einer Kabine. Er hat einen Kamm in der Hand.]

TONY: Hey, Kumpelchen ! Deine Alte soll für die Chefetage arbeiten.

ERZÄHLER: Das war wohl 'ne blöde Frage !

KEVIN: Tony !

ERZÄHLER: Tony Barbella - die moderne Antwort auf den Neandertaler.

TONY: Hör zu, Arnold - ich darf dich doch wohl Arnold nennen, oder ?

KEVIN: Weißt du ...

TONY: Arnold, du könntest mir einen Gefallen tun. Aber nur, wenn du wirklich möchtest.

KEVIN: Äh, na ja ...

TONY: Ich brauch 'ne Bescheinigung. Eine grüne - du weißt schon. Die die Knasttüren öffnet.

KEVIN: Oh.

TONY: Und da du durch die Mami im Sekretariat 'nen Haufen Beziehungen hast, hab ich mir gedacht, du bist mein Mann.

KEVIN: Weißt du ... Tony, auch wenn ich dir noch so gerne helfen möchte - nur weil meine Mu...

TONY: Kumpel, ich versteh deine Probleme, die organisatorische Seite ... Aber ich sag dir, wenn du das tust, dann werd ich dir wirklich, wirklich, wirklich, wirklich dankbar sein !

[Er schenkt KEVIN den Kamm, mit dem er ihn bei jedem wirklich auf die Nase gestupst hat - das heißt, er steckt ihm den Kamm einfach in die Hemdtasche - und geht.]

ERZÄHLER: Ich war stocksauer ! Ich wurde in ein Verbrecherdasein gedrängt ! Und ich wußte auch, von wem:

INT. TAG. SEKRETARIAT
KEVIN guckt durch die Tür ins Sekretariat. NORMA sitzt an ihrem Schreibtisch und tippt. Direkt hinter ihr befindet sich die Tür zu Mr. DIPERNAs Büro.

ERZÄHLER: Die wahre Schuldige saß hinter diesem Schreibtisch.

[KEVIN geht hinein.]

KEVIN: Mom ?

NORMA: [blickt auf] Oh, Kevin ! Was tust du denn hier ?

KEVIN: Ich, äh ... hab mein Essengeld vergessen !

NORMA: Schatz, mein Portemonnaie ist auf dem Tisch. Komm doch schnell rein und nimm es dir !

KEVIN: Gut.

ERZÄHLER: Ah, da lachte das verschlagene Verbrecherherz !

[KEVIN öffnet die kleine hölzerne Tür an der Seite des Schreibtisches. NORMA dreht sich nicht um - und KEVIN sieht sein Ziel, die kleinen grünen Zettel, die als Block neben der Tür zu DIPERNAs Büro hängen, in greifbarer Nähe.]

ERZÄHLER: Gut, ich wußte, daß es falsch war. Aber ich hatte keine Wahl ! Außerdem - welches Gericht der Welt würde mich nach dem, was ich durchgemacht hatte, schon verurteilen können !

[KEVIN sieht sich noch einmal um - NORMA tippt sorglos weiter - und reißt langsam und leise einen der grünen Zettel ab. In dem Moment sieht NORMA sich zu ihm um.]

NORMA: [erschrocken, schockiert] Kevin !

[KEVIN weiß nicht, was er tun soll. Obwohl er weiß, daß NORMA den Zettel schon gesehen hat, versucht er ungeschickt, ihn hinter seinem Rücken zu verstecken.]

ERZÄHLER: Und plötzlich ... saß ich auf der Anklagebank !

KEVIN: Ich, äh ...

[DIPERNA kommt aus seinem Büro.]

DIPERNA: Äh, Mrs. Arnold, kann ich ... [zögert kurz, als er KEVIN sieht] ... könnt' ich Sie einen Moment sprechen ?

NORMA: [sieht KEVIN an] Ich bin sofort da.

DIPERNA: So schnell wie möglich, bitte.

[DIPERNA verschwindet in seinem Büro. NORMA und KEVIN sehen sich eine Weile an.]

NORMA: Ich muß rein. Ich hab zu tun.

[NORMA geht in das Büro und läßt KEVIN allein zurück. Er überlegt kurz, und legt den Zettel dann gut sichtbar auf eine Schrankecke. Dann geht er.]

EXT. NACHMITTAG. PARKPLATZ
NORMA ist auf dem Weg zum Auto. KEVIN versucht, sie einzuholen.

KEVIN: Mom !

ERZÄHLER: Auf einmal erschienen mir die Tony Barbellas dieser Welt wie kleine Fische !

KEVIN: [holt sie ein] Mom ? Ähm, wegen vorhin - das war nicht so, wie es aussah. Ich hab dir diesen Zettel wieder zurückgelegt.

NORMA: Weiß ich doch.

KEVIN: Also ...

NORMA: Kevin - können wir uns darüber nachher unterhalten ? Ich, ähm, bin gerade etwas durcheinander, weißt du ? [kurze Pause] Ich hab meine Kündigung bekommen. Mr. DiPerna hat mich soeben entlassen.

KEVIN: [mitfühlend] Oh.

NORMA: Er sagt, mein Schreiben läßt zu wünschen übrig und mein Steno sei etwas ... mühselig.

KEVIN: Das hat er gesagt ?

NORMA: Ich weiß auch nicht. Der Mann hat vielleicht recht. Jedenfalls ... weißt du's nun.

KEVIN: Tut mir echt leid, Mom.

ERZÄHLER: Wahrscheinlich haben selbst Frauen von Astronauten manchmal einen schlechten Tag.

KEVIN: Darf ich dir Gesellschaft leisten ?

NORMA: Nein, schönen Dank. [kurze Pause] Fährst du mit dem Bus ? Ich denke, ich werd noch etwas spazierenfahren.

KEVIN: Gut.

[NORMA steigt ein und fährt los.]

INT. ABEND. KÜCHE
JACK und WAYNE sitzen am Tisch, KEVIN steht in der Küche herum. Der Fernseher läuft.

WAYNE: [ungeduldig] Wo bleibt sie denn ?! Ich hab Hunger !

KEVIN: Seh ich wie 'n Hellseher aus ?

ERZÄHLER: An dem Abend war mir nicht danach, Fragen zu beantworten.

JACK: War etwa irgendwas in der Schule ?

KEVIN: [eilig] Nein ! Ich meine - nicht, daß ich wüßte.

ERZÄHLER: Ich würde für das, was ich getan hatte, mächtigen Ärger bekommen. Aber etwas anderes beunruhigte mich noch viel mehr: Als ich in dieser Küche stand, in der Mom für ihre Familie 18 Jahre lang überbackenen Käsetoast gemacht hatte, wußte ich, daß ich etwas veränderte hatte.

[Man hört das Auto die Einfahrt hochfahren.]

JACK: Das wird auch Zeit.

WAYNE: [zustimmend] Ahem.

KEVIN: Dad ? Wayne ?

ERZÄHLER: Das mindeste, was ich tun konnte, war, sie auf das Häufchen Elend vorzubereiten, das gleich durch die Tür kommen würde.

[NORMA kommt herein.]

NORMA: [gut gelaunt] Hi ! Habt ihr schon Hunger ?

[JACK und WAYNE brummen zustimmend.]

NORMA: Entschuldigt ! Ich hab vollkommen die Zeit vergessen. Wir essen in zwanzig Minuten. [holt etwas aus dem Kühlschrank] Ich stelle bloß noch schnell diesen Topf in den Ofen. Oh, ich hab euch den Kuchen mitgebracht, den ihr alle so gerne eßt !

WAYNE: Klasse !

JACK: [zufrieden] Oh !

NORMA: [mit der Kaffeekanne in der Hand; zu JACK] Willst du noch ein bißchen, Schatz ?

JACK: Ja, danke !

ERZÄHLER: Es war unglaublich ! Das war das bestgelaunte Häufchen Elend, das ich je gesehen hatte ! Sie schien ... glücklich zu sein, geradezu selbstbewußt, geradezu ...

NORMA: Oh, Kevin, hast du deinem Vater schon von der Schule erzählt ?

ERZÄHLER: ... ganz und gar übergeschnappt !

JACK: Was ist mit der Schule ?

[KEVIN gluckst kurz und bereitet seine Antwort vor, doch NORMA kommt ihm zuvor.]

NORMA: Ich hab mit der Arbeit dort aufgehört.

JACK: Was ? Wieso denn ?

NORMA: Das läßt sich ... ganz einfach erklären:

ERZÄHLER: Da wußte ich: Jetzt erzählt sie es ihnen. Und zwar alles ! Aber aus irgendeinem Grund tat sie es nicht.

NORMA: Es ist der falsche Job für mich - jedenfalls jetzt - und ich weiß, ich finde was Besseres. [kurze Pause] Ich geh auf keinen Fall wieder zurück. [zu KEVIN] Nicht wahr, Schatz ?

[Schweigen, während NORMA weiter das Abendbrot vorbereitet.]

JACK: Na schön - wenn du das möchtest.

NORMA: Jawohl, das möchte ich.

ERZÄHLER: Und in dem Moment wurde mir über diese Frau, derer ich mich so geschämt hatte, eins sonnenklar:

NORMA: [beugt sich vor; leise] Übrigens, Kevin: Du hast Hausarrest. [arbeitet weiter]

ERZÄHLER: [bewundernd] Sie war verdammt cool!

[KEVIN zögert einen Moment und geht dann stolz und zufrieden lächelnd aus der Küche.]

INT. NACHT. KÜCHE
KEVIN kommt in die Küche. Während er etwas im Kühlschrank sucht, bemerkt NORMA ihn gar nicht, sondern tippt auf ihrer Schreibmaschine an dem kleinen Küchentisch.

ERZÄHLER: Wenn man vierzehn ist, sind Veränderungen das normalste der Welt. Man lebt mit ihnen, in jeder Minute des Lebens. Aber an diesem Abend begriff ich zum ersten Mal, daß sich auch Moms Welt veränderte, vielleicht sogar mehr als meine. Ihre Familie wurde erwachsen. Sie hatte keine kleinen Kinder mehr, die in Schlafanzügen rumliefen und fragten:

KEVIN: [leise] Mom ? Gibt's noch heiße Schokolade ?

NORMA: [blickt auf] Möchtest du gern welche haben ?

KEVIN: Au ja !

[NORMA steht auf - und KEVIN beugt sich über die Schreibmaschine.]

ERZÄHLER: Aber eins wußte ich: Egal, was für Veränderungen vor ihr lagen - ...

[In der Schreibmaschine steckt ein Vordruck eines Formulars, in das NORMA bereits ihren Namen eingetragen hat: Es ist ein Aufnahmeantrag für ein College.]

ERZÄHLER: ... Norma Arnold würde mit ihnen klar kommen.

NORMA: Ist gleich fertig, Schatz !

CLOSING TITLES
Dieses Transcript wurde von Daniel G.



Non-English Titles/Transcripts
Episode Info
Wonder Years Menu

09/10/01 19:50