Folge 59: Wer war Tante Rose ?
Teleplay: Mark B. Perry

Story: Jill Gordon

OPENING TITLES

OPENING SEQUENCE
Bilder von einer typischen amerikanischen Vorstadt.

ERZÄHLER: Die Gegend, in der ich aufgewachsen bin, war wie so viele andere Gegenden auch. Die Schachteln, in denen wir lebten, unterschieden sich nur durch die Namen auf den Briefkästen und die Autos in den Auffahrten von einander. Hier bauten hart arbeitende Amerikaner ihre Wagenburgen, um sich vor der Außenwelt zu schützen.

INT. ABEND. KÜCHE
Die Familie Arnold - außer KAREN natürlich, die inzwischen am College ist - sitzt am Tisch und ißt Abendbrot.

WAYNE: Idiot !

JACK: Wayne ! Du bringst noch den Müll raus. Morgen ist Dienstag.

WAYNE: Kevin ist diese Woche dran !

KEVIN: Ist gar nicht wahr !

JACK: Red nicht, tu's einfach !

ERZÄHLER: Unser Leben bestand aus kurzen Momenten ...

NORMA: [zu KEVIN] Möchtest du noch ein paar Kroketten, Schatz ?

ERZÄHLER: ... die alle mit einander verflochten waren.

KEVIN: Oh, danke Mom.

NORMA: Karen hat angerufen, Jack.

JACK: Und - wieviel ?

NORMA: Bloß 35 Dollar bis Ende des Monats.

JACK: Mmh. Schick ihr einen Scheck !

[WAYNE kommt KEVIN zuvor und schnappt sich das letzte Brötchen aus dem Brotkorb.]

KEVIN: Das ist meins !

WAYNE: Irrtum, Blödsack ! Das war deins.

NORMA: Wayne ! Gib deinem Bruder das Brötchen !

[Demonstrativ leckt WAYNE das Brötchen an einem Ende an und gibt es dann KEVIN.]

ERZÄHLER: Vielleicht merkten wir es damals noch nicht zwischen all den Altpapiersammlungen, den Kartoffelkroketten, dem Geschrei der spielenden Nachbarskinder ...

WAYNE: Wenn er sich so zimperlich hat, ist das ja nicht mein Problem. Oder siehst du das etwa anders ?

ERZÄHLER: ... aber wir führten ein reiches Leben in unserem kleinen Heiligtum. Reich und kostbar.

[Das Telefon klingelt. NORMA geht ran.]

ERZÄHLER: Und das einzige, das daran etwas ändern konnte ...

NORMA: Hallo ?

ERZÄHLER: ... war der Tod.

NORMA: Jack ? Es ist dein Vater.

[JACK legt sein Besteck auf den Teller und nimmt NORMA den Hörer ab.]

INT. TAG. HAUSTÜR
ALBERT Arnold, JACKs Vater, kommt an. Er stellt seine Koffer ab und umarmt seine Enkel.

ALBERT: [fröhlich] Hey, hey, hey ! [lacht]

WAYNE: Hallo Großvater ! Wir haben schon auf dich gewartet !

ERZÄHLER: Man konnte nicht behaupten, daß Großvater tot war - im Gegenteil: Er war quicklebendig.

[ALBERT zieht KEVIN an der Nase.]

ALBERT: [zu KEVIN] Hier ist deine Nase !

[WAYNE lacht laut.]

KEVIN: [fröhlich] Großvater ! ...

ERZÄHLER: Und genauso wie ein guter Wein wurde er mit den Jahren immer besser.

NORMA: Komm schon, Albert ...

ALBERT: Ja !

NORMA: ... gib mir deinen Mantel !

ALBERT: Ich freu mich, daß ihr mich aufnehmt ! Nett von euch.

NORMA: Sei nicht albern - du weißt, daß du willkommen bist.

[ALBERT lacht.]

WAYNE: Wie lange wirst du denn bei uns bleiben ?

ALBERT: Wir werden sehen, wir werden sehen. [lacht]

ERZÄHLER: Irgendwie erfüllte er das Haus mit Leben.

JACK: [kommt mit den Koffern herein und stellt sie erstmal auf dem Boden ab; ernst] Er geht zu einer Beerdigung !

NORMA: Zu ... zu wessen ?

ALBERT: Oh. [vorwurfsvoll] Du hast es ihnen nicht gesagt, Jack ?!

JACK: Äh, nein Dad. Ich dachte, das willst du vielleicht tun, weil ...

NORMA: Jack ! [kurze Pause]

ALBERT: Ich finde, daß ihr es erfahren solltet: Tante Rose wurde gestern früh heimgeholt.

NORMA: Oh je ! Arme Tante Rose !

ALBERT: Ich verstehe deine Trauer, aber sie hatte ein schönes und erfülltes Leben ! Jungs, ich hab doch recht !

KEVIN: Sicher, Großvater.

WAYNE: Klar. [grinst]

ERZÄHLER: Das stimmte. Tante Rose hatte ein schönes und erfülltes Leben gehabt. Das ließ nur noch eine kleine Frage offen:

KEVIN: [verwirrt] Wer ist Tante Rose ??

ALBERT: Eigentlich war sie gar nicht eure Tante. Sie war, ähm, eine meiner Cousinen ersten Grades ...

INT. ABEND. KELLER
ALBERT sitzt auf der Kellercouch zwischen KEVIN und WAYNE, der KEVIN böse Blicke zuwirft. ALBERT erzählt immer weiter und zeigt Photos.

ERZÄHLER: Gegen zehn bereute ich, daß ich überhaupt gefragt hatte.

[WAYNE gähnt.]

ALBERT: [zeigt ein weiteres Photo] Seht mal her: Wißt ihr, wo das war ?

WAYNE: [schläfrig] Nein. Bitte sag's uns, Großvater.

ALBERT: Vor dem Haus am See draußen.

WAYNE: [müde] Starker Badeanzug.

ALBERT: [frisch, munter] Ja, so ist das. So haben die Dinger früher ausgesehen, Wayne. Tss. [niedergeschlagen] Als sie gestorben ist, ist Rose 85 gewesen. Sag mal, könnt ihr euch das überhaupt vorstellen ?

ERZÄHLER: Wenn man vierzehn Jahre alt ist, klingt 85 auch nicht anders als 45, oder sogar 105. Aber wenn Großvater freundliche Zuhörer brauchte, konnte er auf uns zählen.

[JACK klopft kurz und blickt hinunter.]

JACK: Mach Schluß, Dad. Die beiden gehören ins Bett.

ALBERT: Ja, da hast du recht. [kurze Pause] Jungs, ich hab euch wohl ganz schön die Ohren vollgequatscht, hä ?!

WAYNE und KEVIN: [gleichzeitig] Nee !

KEVIN: Es war ein lustiger Abend. [WAYNE stimmt zu]

ERZÄHLER: Eine Lüge - aber eine gute Lüge.

INT. ABEND. KEVINS ZIMMER
KEVIN und WAYNE liegen bereits im Bett, das Licht ist aus. NORMA, JACK und ALBERT schauen noch einmal hinein.

ERZÄHLER: Er war unterwegs zu einer Beerdigung, da war ein angenehmer Abschied das mindeste, das wir für ihn tun konnten.

ALBERT: Oh, und stellt euch ja den Wecker ! Wir fahren allerspätestens gegen acht ! [geht]

[Betretenes Schweigen.]

ERZÄHLER: Moment mal ... sagte er ...

JACK: [ungläubig] Sagte er "wir" ?! [Schweigen]

INT. ABEND. KÜCHE
ALBERT ist in die Küche gegangen und holt sich Milch aus dem Kühlschrank, als auch der Rest der Familie ankommt. Alle vier bleiben im Türrahmen stehen und zögern.

ERZÄHLER: Es stand fest, daß das jemand klarstellen mußte. [kurze Pause; NORMA, WAYNE und KEVIN starren JACK an] Wir schickten den Großen vor.

JACK: Äh, Dad, was unsere Wecker betrifft ...

ALBERT: Das wollt' ich noch sagen: Ich hab meinen vergessen. Du mußt uns aufwecken. Wir nehmen dann mein Auto. [sucht alle Schränke nach einem Glas ab]

JACK: Äh, na ja ... Was diese Beerdigung angeht - wir hatten eigentlich nicht vor hinzugehen.

ALBERT: Ihr hattet es nicht vor ? Aber natürlich gehen wir hin.

JACK: Ich flieg nach Seattle gleich Donnerstag morgen und, äh ...

ALBERT: Rose wird morgen beerdigt. Das wirst du ja wohl schaffen. [gibt die Suche auf] Norma, wo stehen die Gläser ?

NORMA: Ähm, warte. Ich geb dir eins.

ERZÄHLER: Irgendjemand mußte die Sache ganz dringend wieder ins Lot bringen - eine gemeinsame Absichtserklärung abgeben.

JACK: [zu ALBERT] Weißt du, das Ganze kommt mir einfach ungelegen.

ALBERT: [ungehalten] Beerdigungen kommen immer ungelegen, was soll's ! Außerdem finde ich, die Jungs sollten hingehen.

ERZÄHLER: Na toll ! Nun zog er uns da auch noch mit hinein !

JACK: Ähm, na ja, die beiden müssen zur Schule ... [WAYNE brummt zustimmend]

ALBERT: Dann schreib eine Entschuldigung. Ein Todesfall in der Familie ist doch wohl ein akzeptabler Grund !

JACK: Dad, es ...

ALBERT: Junge, warum stellst du dich nur so an ?! Rose gehörte zur Familie. Zu unserer Familie ! Bedeutet euch das denn gar nichts ?!

ERZÄHLER: Aber die Wahrheit ist: Es bedeutete uns wirklich nichts. Mir jedenfalls nicht.

ALBERT: Ich wette, daß ... Kevin sich freut ... eine von uns auf ihrem letzten Weg begleiten zu können, oder, Kleiner ?

ERZÄHLER: Und plötzlich stand bloß noch ich zwischen uns und Tante Rose.

KEVIN: [unsicher] N... natürlich, Großvater. Sicher doch. [erntet nur böse Blicke von seiner Familie]

INT. VORMITTAG. ALBERTS AUTO
Eine Wagenkolonne rollt eine Landstraße entlang. Ein Wagen davon ist ALBERTs, der schweigend fährt. JACK sitzt neben ihm, NORMA neben KEVIN und WAYNE auf dem Rücksitz.

WAYNE: [immitiert KEVIN] Natürlich, Großvater ! Sicher doch ! Blödsack !

ERZÄHLER: Das war nicht fair. Man hatte mich zum Hochverräter abgestempelt, bloß weil ich versucht hatte, ein pflichtbewußter Enkel zu sein !

NORMA: Sind Phil und Opal auch auf der Beerdigung, Albert ?

ALBERT: Oh ja ! Die beiden sind schon seit gestern hier und helfen Iris bei den Vorbereitungen. [freudig] Und Ray fliegt extra aus Portland her !

ERZÄHLER: Iris ? Ray ? Wer waren diese Leute ?

ALBERT: Ach, und Lloyd kommt auch noch.

JACK: Lloyd ?!

ALBERT: Na du weißt du noch, wer Lloyd ...

JACK: Ja, Dad. Und ob ich das weiß.

ERZÄHLER: Das komische ist: Ich konnte einfach nicht verstehen, warum dem alten Herrn das alles so wichtig war !

ALBERT: Es ist wirklich schön, die Familie wiederzusehen ! Stimmt's, Kev ? [alle sehen KEVIN an]

ERZÄHLER: ... und warum er ausgerechnet mich auf dem Kiecker hatte ! [Pause]

KEVIN: Klar, Großvater.

ALBERT: [zu JACK] Freut mich, daß du dich entschieden hast, doch zu kommen. [Er kitzelt JACK wie ein kleines Kind am Bauch, was JACK anscheinend überhaupt nicht behagt.]

INT. VORMITTAG. KAPELLE
Ein bleicher, gelangweilt dreinblickender kleinerer Mann öffnet die Türen zur Kapelle.

MANN: Da wären wir. Rose McKenzie.

[Orgelmusik ertönt. Die Familie betritt den Raum, an deren Ende der offene Sarg steht.]

MANN: Mein tiefempfundenes Beileid !

ERZÄHLER: Irgendwie wußte ich ganz genau, was er meinte.

[Irgendein Verwandter kommt WAYNE entgegen.]

VERWANDTER: Das ist doch unser kleiner Wichie, nicht ! Du weißt, warum wir ihn Wichie nennen, oder ?! Weil der Junge den Namen Wayne bis er vier war überhaupt nicht rausgekriegt hat ! [lacht; WAYNE lacht mit]

[Ein anderes Gespräch:]

VERWANDTER #2: Jawohl, da lauerte noch ein anderer Scharfschütze direkt auf dem Grashügel. Da bin ich mir hundertprozentig sicher !

[Eine ältere Frau kommt auf KEVIN zu, der bereits ahnt, was ihm blüht.]

VERWANDTE: [mit Quietschstimme] Nein, sag bloß du bist der kleine Kevin ! Jetzt sieh sich einer diesen Jungen an ! Du siehst aus wie deine Mutter ! [t„tschelt ihn]

[In einer anderen Ecke wird NORMA von irgendeinem Verwandten vollgeplappert. Ihr Blick verrät, daß sie wohl so schnell wie möglich dort weg will, auch wenn sie versucht, höflich zu bleiben und interessiert und mitfühlend auszusehen.]

VERWANDTER #3: Ja, das war 'ne schwere Zeit für uns, Norma. Aber ich hoffe, daß wir es schaffen, das ... Geschäft wieder auf die Beine zu stellen. Wenn nur nicht wieder alles schiefgeht. Weißt du, was ich meine ?

WAYNE und KEVIN stehen zusammen. Und wieder kommt eine ältere Verwandte zu ihnen.]

VERWANDTE #2: Erstaunlich, ihr seht ja aus wie Zwillinge ! [WAYNE und KEVIN sehen sich zweifelnd an]

ERZÄHLER: Alles in allem ... ein ernüchterndes Erlebnis ! Nachdem wir das eine Dreiviertelstunde ausgehalten hatten war unser kleiner Zweig des Familienstammbaumes kurz vor dem Abbrechen !

[Die Orgelmusik endet.]

JACK: [hat sich inzwischen zu KEVIN und WAYNE gesellt] Oh Gott ! [Er meint einen weiteren Verwandten, der gerade bei NORMA steht.]

NORMA: Da drüben. [zeigt zu JACK] Da stehen alle drei.

JACK: Oh Gott ! [Der Verwandte bahnt sich seinen Weg zu JACK]

LLOYD: [zu anderen Anwesenden] Ich komme sofort zu euch !

ERZÄHLER: Das war Dad's Cousin Lloyd.

LLOYD: Entschuldigung, dürft' ich mal ?

ERZÄHLER: Er hatte sich mit Aluminiumfassaden eine goldene Nase verdient und war vermutlich der einzigste Mensch auf der Welt, der den Nerv hatte, meinen Vater ...

LLOYD: [freudig] Dicker !

ERZÄHLER: ... zu nennen.

LLOYD: Wie geht's dir, altes Haus ?

JACK: Ganz toll, Lloyd. Dir auch ?

LLOYD: Es ging mir nie besser ! Das heißt, [zögert] abgesehen von dieser Geschichte. [deutet auf den Sarg] Hey ! Du hast dich irgendwie verändert. Hast du 'n paar Pfund mehr drauf ? [haut JACK freundschaftlich auf dem Bauch - JACK mag es trotzdem nicht - und lacht]

JACK: [bleibt ruhig] Das glaub ich kaum.

LLOYD: Vielleicht wirst du einfach alt, mein Guter ! [JACK lacht gereizt.]

ERZÄHLER: Es war eine Art freundlicher Stichelei, die auf Dad immer dieselbe Wirkung hatte:

JACK: Ich werd auf's Klo gehen.

ERZÄHLER: Gute Idee !

[JACK geht - dummerweise hält LLOYD KEVIN und WAYNE zurück.]

LLOYD: Hey, ich wette, ich hab zwischendurch ein paar Geburtstage von euch versäumt ... [zückt die Brieftasche] ... oder ? Ich hab aber kein Kleingeld. Ihr könnt euch doch den hier teilen ! Oder ?

ERZÄHLER: Hallo, altes Haus !!

WAYNE: [grinst] Logisch.

KEVIN: [lächelt] Das tun wir gern. [nimmt einen Zwanziger entgegen] Danke.

LLOYD: Ist mir ein Vergnügen gewesen ! Geht los und kauft euch davon etwas richtig Schönes ! Okay ? [geht]

ERZÄHLER: Auf einen Schlag waren wir Tante Rose viel freundlicher gesonnen !

ALBERT: [kommt zu ihnen; leise] So, kommt Jungs. Nehmt von ihr Abschied.

[ALBERT führt WAYNE und KEVIN zum offenen Sarg und läßt sie dort allein. WAYNE und KEVIN blicken etwas furchtsam in den Sarg. Die Kamera zeigt nicht, was sie sehen, sondern zeigt nur ihre Gesichter. Wieder erklingt Orgelmusik.]

VERWANDTE #3: [kommt kurz hinzu und blickt in den Sarg] Sie sieht aus, als sei sie nur eingeschlafen ! Die kriegen das hier wirklich toll hin ! [geht weiter]

ERZÄHLER: Als wir dort standen, Auge in Auge mit der Sterblichkeit, wallten Gefühle in uns auf, die sich nur schwer beschreiben lassen.

WAYNE: Gib mir den Zwanziger !

KEVIN: Was ?!

WAYNE: Die Hälfte gehört mit. Also geh ich ihn wechseln.

KEVIN: Oh nein ! Ich geh ihn wechseln !

WAYNE: [verärgert] Gut. Bitte. Ich vertrau dir.

[WAYNE blickt wieder in den Sarg - und reißt KEVIN dann blitzschnell den Zwanziger aus der Hand. Der grinst kurz - und schnappt sich KEVIN den Zwanziger. Eine Zeitlang streiten sie sich um den Schein - bis er schließlich in den Sarg fällt. Die beiden sehen ihm furchtsam nach.]

ERZÄHLER: Angesichts des Todes ... verloren auch die Tapfersten den Mut !

WAYNE: Hol dir das Ding !

KEVIN: Ich doch nicht !

WAYNE: [packt KEVIN am Kragen] Ich sagte, hol ihn !

KEVIN: Wieso holst du ihn nicht ?

WAYNE: Ich hab dazu keine Lust.

ERZÄHLER: Klar, es war sicher nicht mehr als ein halber Meter, aber von der großen Weltordnung aus betrachtet war dieser Zwanzig-Dollar-Schein unendlich weit entfernt.

VERWANDTE #3: [kommt noch einmal zurück] Ich sehe schon, ihr beide werdet sie vermissen. Aber vergeßt darüber nicht, daß ihr nun Frieden zuteil wird.

ERZÄHLER: Ja, ihr vielleicht !

INT. ZEIT UNBEKANNT. TOILETTE
KEVIN und WAYNE basteln sich aus einer Schnur und einem Kaugummi eine Angel.

ERZÄHLER: Uns nicht !

WAYNE: Okay: Wir werden zum Sarg hingehen, du paßt auf, daß keiner guckt - und ich erledige den Rest. Kapiert ?

KEVIN: Sollen wir das wirklich tun ?

WAYNE: Warum nicht ! Hast du Schiß ?

KEVIN: Nein, ich hab keinen Schiß !

WAYNE: Dann hilfst du auch mit !

KEVIN: Wer sagt denn das ?!

WAYNE: Schließlich hast du ihn runtergeschmissen !

KEVIN: [schreit] Ich hab ihn nicht runtergeschmissen !

WAYNE: [schreit zurück] Klar hast du ihn runtergeschmissen !

KEVIN: Nein, hab ich überhaupt nicht !

WAYNE: Und ob du das getan hast ! Du Blödsack !

[Sie streiten weiter - bis ALBERT dazukommt und dazwischengeht.]

ALBERT: [verärgert] Was ist hier los ?

KEVIN: Nichts, Großvater.

ALBERT: Dann hört auf ! [kurze Pause] Das ist eine Beerdigung, keine Kneipenschlägerei. [kurze Pause] Wo ist euer Vater ?

WAYNE: Keine Ahnung.

ALBERT: Es ist nämlich Zeit, zum Friedhof zu fahren. Er war ja nicht mal dabei, als sie den Sarg zugemacht haben !

[WAYNE und KEVIN werfen sich einen vielsagenden Blick zu. ALBERT geht hinaus und schlägt die Tür hinter sich zu.]

INT. ZEIT UNBEKANNT. KAPELLE
WAYNE und KEVIN starren entsetzt auf den geschlossenen Sarg.

ERZÄHLER: Ja, es sah wirklich so aus, als sei dieser Fall abgeschlossen !

INT. ZEIT UNBEKANNT. ALBERTS AUTO
Die Arnold-Familie sitzt wieder im Auto. ALBERT fährt.

ALBERT: [verärgert, zu JACK] Kannst du mir sagen, wo du dich rumgedrückt hast ?

JACK: Ich hatte da drin Atemnot.

ALBERT: Deswegen ... rennst du weg ?

ERZÄHLER: Man kann sagen, daß die Fahrt zum Friedhof ziemlich feierlich verlief.

NORMA: [versucht, vom Thema abzulenken] Die Blumen waren schön, nicht, Albert ?

ALBERT: Ja. Die waren wirklich schön. Soviel Blumen hab ich nicht mehr gesehen seit Helen tot ist. [wieder zu JACK] An ihre Beerdigung wirst du dich ja erinnern !

JACK: Ja, daran kann ich mich erinnern.

ALBERT: Weißt du noch, wie heiß es an dem Tag war ?

JACK: [lauter] Ja, das weiß ich noch, Dad !

ALBERT: Ich wollte mich ja nur etwas unterhalten !

ERZÄHLER: Aber während Großvater und Dad vorne saßen und plauderten, hatte ich hinten meine eigenen Probleme.

[KEVIN sitzt ungünstigerweise zwischen NORMA und WAYNE - also neben WAYNE, der auf seinen Arm boxt.]

KEVIN: Hey, laß das gefälligst !

WAYNE: Gut, aber erstmal schlag ich dich einmal für jeden Dollar, den du ...

KEVIN: Das Geld hast du verloren !

WAYNE: [schlägt ihn noch einmal] Ups, wo war ich doch gleich ? - Fangen wir von vorne an ! [drischt auf KEVIN ein.]

NORMA: Wayne, Kevin ! Hört auf !

ALBERT: Jetzt ist Schluß - ich warne euch ! [Pause; ruhig] So, und jetzt versuchen wir alle, uns von unserer besten Seite zu zeigen !

ERZÄHLER: Aber ich hatte keine Lust, mich von meiner besten Seite zu zeigen !

ALBERT: Jack, ich muß mit dir über etwas Wichtiges sprechen.

ERZÄHLER: Ich war ein vierzehnjähriger Junge mit einer schmerzenden Schulter, 10 Dollar im Minus, unterwegs in einem engen Auto, um jemanden unter die Erde zu bringen, der mit mir auch nicht das Geringste zu tun hatte !

ALBERT: Hast du dir inzwischen überlegt, ob du die Grabstelle neben deiner Mutter und mir nun kaufen möchtest ?

ERZÄHLER: In dem Augenblick schlug die Beerdigung von Tante Rose voll bei mir ein.

JACK: Dad, müssen wir jetzt darüber reden ?!

ALBERT: Du mußt dir darüber Gedanken machen !

JACK: Dad !

ALBERT: Du willst doch nicht, daß die Jungs diese Entscheidung für dich treffen müssen, oder ?

[Die Jungs sind eher mit sich selbst beschäftigt. WAYNE hat wieder angefangen, KEVINs Arm und Schulter zu schlagen.]

ALBERT: Die haben genug um die Ohren, wenn es soweit ist !

JACK: Es ist für alles gesorgt, okay ?

ERZÄHLER: Ich hörte zum erstenmal, daß mein Dad ein Stückchen Erde besaß, daß für ihn reserviert war. Und natürlich gab es nur eine Art, darauf zu reagieren:

[Es reicht KEVIN. Er stürzt sich auf WAYNE und die beiden prügeln sich auf dem Rücksitz.]

NORMA: Hört auf ! Jetzt ist wirklich Schluß ! Ihr sollt aufhören ! [keine Reaktion]

ALBERT: Es reicht ! Es reicht ! Das war's ! [hält an] Ihr steigt beide sofort aus !

[KEVIN und WAYNE hören sofort auf und blicken ALBERT sprachlos an.]

KEVIN: Was ?!

ALBERT: [schimpfend] Ehe ihr euch auf der Beerdigung so respektlos aufführt, [brüllt] geht lieber nach Hause !

KEVIN: Großvater, ich ...

ALBERT: Falls ihr euch anders entscheidet, dann könnt ihr von mir aus die zwei Meilen bis zum Friedhof laufen !

KEVIN: Dad ...

ERZÄHLER: Mmh, von da war keine Hilfe zu erwarten.

[KEVIN blickt hilfesuchend zu NORMA und JACK.]

ERZÄHLER: Von dort auch nicht. Also blieb mir nur die Hoffnung, daß Großvater nur bluffte.

ALBERT: [brüllt] Das habe ich ernst gemeint, verdammt ! Also steigt aus ! Wird's bald !

[KEVIN und WAYNE steigen aus und sehen dem Auto nach, als ALBERT losfährt.]

ERZÄHLER: Ich hatte meinen Großvater noch nie so wütend erlebt ! [lange Pause] Da standen wir nun, gestrandet, mitten im Nirgendwo, mit nichts weiter als einem sauberen Anzug.

[WAYNE ist inzwischen auf die andere Straßenseite gewandert und hat einen Sandklumpfen geformt, den er nun nach KEVIN wirft und der voll trifft.]

KEVIN: Aua !

WAYNE: [sauer, schreit] Zuerst wirfst du mein Geld weg - und nun auch noch das, Blödsack ! [wirft noch einmal, verfehlt KEVIN aber]

KEVIN: Dummes Schwein ! [wirft zurück]

WAYNE: Idiot !

KEVIN: Armleuchter !

WAYNE: Schweinebacke ! [läuft los, in die Richtung, in die ALBERTs Auto verschwunden ist]

KEVIN: Wo gehst du hin ?

WAYNE: Zum Friedhof !

ERZÄHLER: Trauer hat viele Gesichter. Manche Leute weinen, einige verteilen Geld - andere werfen mit Sandklumpen. Und zum ersten Mal an diesem Tag ...

KEVIN: [ruft] Hey, warte auf mich ! [rennt WAYNE hinterher]

ERZÄHLER: ... fühlte ich mich langsam auch bedrückt.

WAYNE: Würstchen !

KEVIN: Drecksack !

WAYNE: Hosenscheißer !

EXT. NACHMITTAG. FRIEDHOF
Die ganze Verwandschaft steht um Tante Rose' Grab herum, während ein PFARRER die Grabrede hält. KEVIN und WAYNE kommen allmählich dazu.

PFARRER: Es ist für uns, die wir zurückbleiben, ein Trost, zu wissen, du hast Rose zu dir genommen.

ALLE: Amen.

ERZÄHLER: Manche Reisen dauern länger als andere. Als wir an diesem Nachmittag auf dem Friedhof ankamen, wußte ich: Ich hatte mehr als die zwei Meilen hinter mir gelassen. Etwas geschah in meinem Leben, etwas so großes, daß ich es einfach nicht erfassen konnte.

PFARRER: Doch obwohl ihr Tod einen Verlust für uns bedeutet, so sollten wir uns damit trösten, daß wir nicht ärmer geworden sind, sondern um vieles reicher. Reicher, weil wir sie gekannt haben, weil ihre Güte uns gegenüber so groß war. [Pause] Möchte einer von Ihnen vielleicht ein paar Worte über Rose McKenzie sagen ? [kurze Pause]

ALBERT: Ich glaube, daß ich das machten möchte. [nimmt seinen Hut ab und stellt sich hinter den Grabstein; räuspert sich] Ich denke ... Ich denke, meine Cousine Rose ... hat Familientreffen mehr gemocht als jeder andere von uns. Selbst als sie ... nicht mehr so gut zu Fuß war, ... hat sie keine Gelegenheit ausgelassen, um ... die Sippe zu sehen. ... So hat sie uns gern genannt. ... Doch leider hab ich den Eindruck, wir finden nur noch zu bestimmten Anlässen zu einander. Entweder zu Hochzeiten, oder ... oder wenn uns jemand - verläßt. ...

ERZÄHLER: Als ich dort stand und Großvaters Worten zuhörte, wurde plötzlich so vieles für mich greifbar: Tante Rose, den Verlust, den Großvater empfand - und die Erkenntnis, warum es so wichtig war, hierher zu kommen. [Pause] Für uns alle.

ALBERT: Aber das Eine kann ich euch sagen: Rose hat uns deswegen noch lange nicht verlassen. Das wird sie auch niemals. ... Sie wird auf ewig ein Teil von uns bleiben - solange wir eine Familie sind. Sie bleibt ... ein Teil der Sippe. ... Sie wird immer dazugehören. [kurze Pause; mit Blick auf KEVIN und WAYNE] Das gilt auch für die unter uns, ... die sie eigentlich kaum gekannt haben.

ERZÄHLER: Ich glaube, da begriff ich, was mein Großvater versucht hatte, mir zu erklären: Daß mein Leben mehr war als das kleine Viertel, in dem ich wohnte und daß diese Fremden, die um mich herumstanden, nicht bloß Verwandte waren - sie waren meine Familie. Und der Tod von einem von uns berührte uns alle in irgendeiner Weise.

[KEVIN sieht, wie WAYNE neben ihm auf den Sarg blickt und schnieft.]

WAYNE: [schniefend] Hey, es waren zwanzig Dollar ! [kurze Stille]

ALBERT: Wir werden uns wiedersehen, Rose.

INT. ABEND. ALBERTS AUTO
Es ist längst dunkel, als die Familie auf dem Heimweg ist. ALBERT ist zu müde zum Fahren und schläft, wie NORMA und WAYNE auch. Nur JACK am Steuer und KEVIN auf dem Rücksitz sind wach. Gitarrenmusik erklingt.

ERZÄHLER: Das Wissen um den Tod meiner Tante Rose hatte sich als ständige Drohung in meinen Gedanken festgesetzt, hatte Fragen aufgeworfen. Und als ich mit meiner kleinen, zerbrechlichen Familie durch die Dunkelheit nach Hause fuhr, war mir klar, daß ich mich diesen Fragen eines Tages würde stellen müssen.

[KEVIN denkt lange nach. Schließlich beugt er sich über den Fahrersitz.]

KEVIN: Dad ?

JACK: Mmh ? [die Musik verklingt]

KEVIN: [überlegt lange] Stirb nie, okay ? [Pause]

JACK: [brummt] Ich sterbe schon nicht ! [lächelt]

ERZÄHLER: Fürs erste ... genügte mir das.

CLOSING TITLES
Dieses Transcript wurde von Daniel G geschrieben.



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09/10/01 19:50