Episode 51 - "Verführerische Kochkunst"

Transcript: Daniel Görlich



OPENING SEQUENCE
(Großaufnahmen von einem glänzenden, glitzernden Armband, in das ein Name eingraviert wird.)

Man beginnt sein Leben als unbeschriebenes Blatt, doch das Leben hinterläßt bald seine Spuren. Man steht vor Entscheidungen, trifft seine Wahl, muß immer weiter voran. Aber früher oder später kommt ein Zeitpunkt, an dem man zurückblickt und sich fragt, wo man bisher gestanden hat und wer man eigentlich ist.

(Der letzte Strich ist gezogen und nun funkelt ein Name auf dem Armband: "KEVIN".)

INT. TAG. WOHNZIMMER
(Winnie und Kevin sitzen auf dem Sofa im Wohnzimmer. Sie lächelt ihn an und gibt ihm ein geöffnetes Kästchen mit dem Armband.)

KEVIN: Wow!

WINNIE: Gefällt es dir?

KEVIN: Na klar, und wie!

WINNIE: Ehrlich?

Winnie Cooper und ich wußten, was wir waren: Ein Paar. Zusammen. Für immer.

WINNIE: Du mußt es umdrehen!

KEVIN (liest laut): In Liebe, Winnie.

In einer Welt voller Kurven und Spitzkehren hatten wir unseren Weg gefunden.

WINNIE: Ich wünsch dir einen frohen Jahrestag!

KEVIN: Danke. - Was denn für'n Jahrestag?

WINNIE: Du hast dich zwar nicht getraut, aber heute vor einem Jahr wolltest du mit mir ausgehen. Hast du das etwa vergessen?

KEVIN: Äh, weißt du, äh...

Natürlich hatten wir gelegentlich unsere Mißverständnisse. Trotzdem...

KEVIN: Nein, nein. Natürlich nicht. Ich, äh...ich dachte nur, das wäre...erst morgen.

WINNIE: Nein. Morgen ist es ein Jahr her, daß du Paul gebeichtet hast, daß du mich magst.

KEVIN: Oh. Das schein ich schon wieder verwechselt zu haben.

Irgendwie kriegten wir alles immer wieder hin.

KEVIN: Ich weiß was: Wir sollten das feiern! Gehen wir uns morgen einen Film ansehen!

WINNIE (glücklich): Klasse!

(Ihre Gesichter kommen sich näher und näher...)

Ja. Wir waren fest zusammen und nichts konnte uns auseinander bringen. Weder Zeit noch Entfernung. Nicht einmal die blanke Versuchung.

(...und plötzlich ist nur noch Madeline Adams Gesicht in einer Großaufnahme zu sehen.)

INT. VORMITTAG. KLASSENRAUM
(Die Kamera fährt zurück, so daß Madeline ganz zu sehen ist. Sie unterhält sich mit einem anderen Mädchen und lächelt. Kevin beobachtet sie. - Es klingelt.)

Madeline Adams. Am ersten Schultag hatte sie mich geküßt! Urplötzlich. Ohne Vorwarnung. Voll auf den Mund! Nicht, daß es mich besonders gestört hätte, aber ich dachte, es könnte nicht schaden, auf Distanz zu bleiben. Ich hatte seitdem kein einziges Wort mit ihr geredet.

(Madeline dreht sich um und geht zu ihrem Platz. Als sie an Kevin vorbeikommt, lächelt sie.)

MADELINE: Hi Kevin!

KEVIN: Ähhh...

(will sich setzen, verfehlt aber den Stuhl und landet auf dem Boden. Er setzt sich aber schnell wieder richtig hin.)

Zumindest kein verständliches Wort.

(Es klingelt noch einmal. Inzwischen steht Mrs. Falcinella, die Französischlehrerin vor der Tafel.)

MRS. FALCINELLA: Asseyez-vous, s'il vous plait! Bonjour, la classe. (Setzt euch bitte! Guten Tag, Klasse!)

KLASSE: Bonjour, Madame!

MRS. FALCINELLA: In dieser und der folgenden Stunde nehmen wir ein völlig neues Kapitel durch: La cuisine. (Keine Reaktion seitens der Klasse) Kochen!

(Allgemeines Maulen.)

MRS. FALCINELLA: Als Hausaufgabe sollt ihr in Zweiergruppen für uns ein original französisches Gericht kochen, es mit hierher bringen und allen erzählen, wie's zubereitet ist. En français! Eh, c'est bien?

(Die Schüler finden das anscheinend bei weitem nicht so toll.)

Eins mußte man den Lehrern an unserer Schule lassen: Ihnen gingen nie die blöden Ideen aus.

MRS. FALCINELLA (hält eine Schüssel mit Zettelchen in den Händen): Damit es wirklich fair zugeht, hab ich alle eure Namen hier auf Zetteln vorbereitet. Ihr wählt also eure Partner simplement au hasard. (lacht)

(...einfach auf gut Glück.)

MRS. FALCINELLA: Marsha? (hält ihr die Schüssel vor die Nase)

Hausaufgaben an sich waren wohl noch nicht schlimm genug.

MARSHA (zieht einen Zettel; enttäuscht): Harold Gartner.

(Anmerkung: Laut Peter Reynders' Guide müßte er eigentlich Harold Gruntner heißen. So wird er in späteren Folgen auch genannt.)

(während die anderen Schüler nach und nach ziehen und vorlesen) Auch Kochen war ihr noch nicht schlimm genug. Nein. Um der Sache die Krone aufzusetzen, trieb uns diese Frau eiskalt...

MADELINE (zufrieden): Kevin Arnold!

(Kevin dreht sich überrascht und wohl auch etwas entsetzt zu Madeline um, die den Zettel in ihrer Hand hält und Kevin zufrieden anlächelt. Aber irgendwie war da noch ein anderer Unterton in ihrer Stimme, den weder Kevin noch der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt richtig deuten können.)

...in den sicheren Untergang.

INT. MITTAG. CAFETERIA
(Kevin und Paul sitzen sich gegenüber. Randy Mitchell sitzt rechts neben Kevin.)

RANDY (zu Kevin): Du hast ein Schwein! Auf dem Zettel stand dein Name? Das glaub ich einfach nicht! (zu Paul): Der hat dauernd so'n Glück!

PAUL (zu Randy): Komm schon, das ist nur 'ne Hausarbeit, nichts weiter. Was ist schon dabei?

RANDY: Darf ich mal lachen? Er ist bei ihr zu Hause! Nachdem es dunkel ist! Da kann einfach alles passieren!

Stimmt. Und genau davor hatte ich Angst.

KEVIN: Was soll das? Laß die Sprüche!

PAUL: Mitchell, nur zu deiner Information: Kevin hat 'ne Freundin. Er ist praktisch verheiratet.

RANDY: Natürlich. (zu Kevin) Ich erwarte einen Bericht von dir! Unterschlag keine Einzelheiten! (nimmt sein Tablett und geht)

PAUL: Also wirklich! Der hat 'ne blühende Phantasie.

KEVIN (lächelnd): Das kann man wohl sagen.

PAUL: Ist doch so. Bloß weil sie attraktiv ist, eine echt irre Figur hat und Augen wie...

KEVIN: Paul!

PAUL: Was ist schon dabei? Ich versteh das nicht.

(Auch Paul nimmt sein Tablett und läßt Kevin allein am Tisch zurück. Kurz darauf kommt dafür Madeline dazu.)

Natürlich hatte Paul recht. Es war überhaupt nichts dabei. Es gab keinen Anlaß zur Beunruhigung. Und trotzdem - aus irgendeinem Grund...

MADELINE: Kevin?

(Kevin dreht sich zu Madeline um, die hinter ihm steht und ihn anlächelt.)

...war ich doch beunruhigt.

MADELINE: Darf ich mich vielleicht kurz setzen?

KEVIN: Oh...na ja, äh...uh...

(Madeline setzt sich rechts neben Kevin und legt ihre Tasche auf den Tisch.)

MADELINE: Ich dachte, wir sollten uns mal unterhalten.

KEVIN: Wirklich?

MADELINE (brummt bejahend): Mmh.

Das würde vielleicht über einiges Aufschluß geben, zum Beispiel darüber, was am ersten Tag passiert war. Warum sie mich geküßt hatte. Darüber...

MADELINE: Darüber, was wir kochen.

KEVIN: Kochen?!

MADELINE: Ähm, ich dachte an Schokoladenmousse. Ich hoffe, du findest das gut.

KEVIN: Äh...ja...ja ja. Klar. Ähm...na ja.

Gut. Wenn sie das Thema nicht anschneiden wollte, mußte ich es eben tun.

KEVIN: Es ist so...

MADELINE: Das ist ein hübsches Namensarmband!

KEVIN: Was?

(Madeline sieht sich kurz das Armband genauer an und blickt dann wieder zu Kevin.)

MADELINE: Ist das 'n Geschenk gewesen?

KEVIN: Oh, ja. Ja ja. Von meiner Freundin. Winnie Cooper. Zu unserem Jahrestag.

MADELINE: Es ist wunderschön. Sie muß was ganz besonderes sein.

KEVIN: Ja. Doch, das ist sie.

MADELINE: Du...wolltest doch was sagen...

KEVIN: Oh, das. Weißt du...

Aber plötzlich kam ich mir dämlich vor. Sie saß da und machte meiner Freundin Komplimente, und ich war mißtrauisch? Schande über mich!

KEVIN: Ach nichts. Es ist nichts.

MADELINE: Also, dann treffen wir uns heute abend bei mir zu Hause. Uh, ist dir acht Uhr recht?

KEVIN: Äh. Klar. Klar, ist mir sehr recht.

MADELINE: Vernon Drive 44. Wir sehen uns nachher.

(Anmerkung: Irgendwie finde ich es seltsam, daß bei der Synchronisation gewöhnlich kleine, leicht verständliche Nebensächlichkeiten falsch übernommen werden, während die schwierigsten Zusammenhänge ohne Probleme übersetzt werden. Warum zum Beispiel treffen sie Madeline und Kevin hier um acht Uhr und nicht um 7:30, wie im Original Und warum wohnt sie plötzlich im Vernon Drive 44 und nicht 31??)

(Madeline steht auf und geht.)

Und das war's dann. Wir hatten uns nett unterhalten, diese Geschichte aus der Welt geschafft und die Fronten geklärt. Kein Problem.

INT. TAG. RESTAURANT
(Winnie sitzt neben Kevin und trinkt ihre Cola.)

WINNIE (enttäuscht): Heute?!

Doch ein Problem!

WINNIE: Da wollten wir doch zusammen ins Kino gehen!

Ach du Schande!

KEVIN: Äh, tun wir ja. Ich meine, wollten wir. Ich meine, wir gehen. Da ist nur diese blöde Französischsache.

WINNIE: Französischsache?

KEVIN: Wir sollen kochen. Ach Unsinn, ich geh nicht hin.

WINNIE (freundlich): Ist doch Quatsch. Ich will nichts davon hören. Wir haben letzte Woche auch sowas aufgekriegt. Du mußt meinetwegen niemanden hängen lassen.

Das schlimme war, sie war so fürchterlich lieb zu mir und...so arglos...

WINNIE: Gib es auf. Ich hab dich längst durchschaut.

KEVIN: Äh, wie bitte?

WINNIE: Du drückst dich nur vor deiner Hausarbeit. Aber ich finde, das ist wichtiger.

KEVIN: Findest du?

WINNIE: Die Schule geht immer vor. Wir gehen einfach einen anderen Tag. Wenn du an meiner Stelle wärst, würdest du sicher das gleiche machen. Oder nicht?

Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Was sollte ich sagen - außer natürlich...

KEVIN: Okay, überredet.

(Winnie lächelt ihn an.)

EXT. ABEND. HAUS DER ADAMS'
(Kevin schiebt sein Fahrrad in die Einfahrt. Es ist bereits dunkel, aber im Haus brennen genug Lichter.)

Winnie hatte recht. Liebe war Liebe, aber Schule war Schule. Das war in etwa so wie die Trennung von Kirche und Staat. Es war Zeit, das Privatleben zurückzustellen und sich auf die Bildung zu konzentrieren.

(Er klopft dreimal an die Tür. Madeline öffnet sofort.)

Es war Zeit, Französisch zu lernen.

MADELINE (französischer Akzent): Bonjour, Kevin.

(Kevin's Blick wandert von ihrem Gesicht bis hinunter zu ihrer zusammengebundenen, weißen Bluse - und bleibt eine Weile auf ihrem entblößten Bauch heften.)

...in unserer Unterwäsche.

KEVIN: Ah...

MADELINE: Oh, deswegen. Entschuldige. Tut mir leid. Ich seh wirklich schlimm aus, aber ich hab keine Zeit gehabt, mich zurecht zu machen.

Oh.

KEVIN: Oh.

MADELINE: Und da wir gleich kochen werden und morgen Schule ist, dacht' ich bei mir: Was kümmern mich die Klamotten?

KEVIN: Oh, äh, natürlich.

Natürlich. Das erklärte alles. Was kümmerten sie schon die Klamotten?

MADELINE: Hier!

(Während er noch vor der Tür steht, drückt sie ihm eine Schüssel in die Hand.)

MADELINE: Du mußt rühren. Und überlaß alles andere mir. Okay?

Eine kleine Stimme tief in mir ermahnte mich: Sieh dich vor!

MADELINE: Entrez! (Treten Sie ein!)

(Kevin geht hinein. Er hält immernoch die Schüssel und den Schneebesen.)

Aber kleine Stimmen können kein Französisch.

INT. ABEND. KÜCHE
(Etwas später in der Küche. Madeline zeigt Kevin verschiedene Behältnisse mit Zutaten, die sie auf Französisch nennt.)

MADELINE: Le lait. (Milch)

KEVIN (wiederholt artig): Le lait.

MADELINE: Le sucre. (Zucker)

KEVIN: Le sucre.

Davon abgesehen, als wir dabei waren, war ziemlich klar, was passieren würde.

MADELINE (liest aus einem Kochbuch): La mousse, c'est bon?

Wir würden kochen.

(Sie beginnen zu kochen. Die Kamera beobachtet sie ab und zu aus verschiedenen Perspektiven, während Hank Williams' "Hey Good Lookin'" gespielt wird. Kevin scheint an der Kocherei immer mehr Gefallen zu finden.)

Ja, wir gingen so richtig zur Sache. Wir krempelten die Ärmel hoch, wischten uns den Schweiß von der Stirn - nahmen unsere Armbänder ab.

(Kevin legt Winnie's Armband vorsichtshalber zur Seite.)

Wer hätte gedacht, daß Hausaufgaben solchen Spaß machen könnten!

MADELINE (fröhlich): Voilà!

(Madeline säubert vorsichtig Kevin's Gesicht mit einem Handtuch.)

Und als der letzte Handschlag getan war, benahmen wir uns wie alte Freunde.

(Madeline zeigt Kevin, der auf einem Stuhl sitzt und ihr beim Kochen zugesehen hat, stolz die Schüssel mit der fertigen Mousse.)

MADELINE: Na, das sieht doch ganz so aus, als wäre es ziemlich gut geworden, oui?

KEVIN: Nicht übel, ja.

Ich gebe zu, ich schämte mich ein bißchen, weil ich gedacht hatte, daß...Na ja, die alte Sache.

(Madeline stellt die Schüssel wieder auf den Herd und rührt.)

KEVIN: Irgendwie ist das witzig...

MADELINE: Was ist witzig?

KEVIN: Na ja, daß gerade wir beide zusammenarbeiten. So ein Zufall ist doch erstaunlich, oder?

Und dann geschah es:



(Sie dreht sich um und sieht Kevin erstaunt an.)

MADELINE: Wie kommst du darauf, daß das ein Zufall ist?

(Kevin zögert kurz.)

KEVIN: Äh, weißt du, immerhin hast du meinen Namen gezogen und...

(Sie geht langsam auf ihn zu und legt ihre Schürze weg.)

KEVIN: Äh...Ich geh lieber nach Hause. (steht auf)

MADELINE: Komm schon! Erst müssen wir das Zeug kosten.

KEVIN: Nein, wirklich. Ich...

(Sie steht dicht vor ihm und leckt auf verführerische Weise die Mousse von ihrem Zeigefinger.)

MADELINE (eher verführerisch als genießend): Hmm.

KEVIN: Ich...

(Madeline taucht ihren Finger noch einmal in die Mousse und hält ihn Kevin vor die Nase. Das Licht wird dunkler und Madline's Stimme ändert sich, als sie ihm den Finger nur wenige Zentimeter vor den Mund hält.)

MADELINE: Mach schon! Koste es!

KEVIN: Ich...ich ...geh nach Haus. (flüchtet)

EXT. ABEND. STRASSE
(Kevin rast auf seinem Fahrrad nach Hause.)

Um mich herum drehte sich alles. Mir schwirrte der Kopf. Ich war mir nicht ganz sicher, was passiert war. Ich wußte nur, ich war gerade noch rechtzeitig ohne Verlust nach Hause gekommen. Das heißt, um genau zu sein...

(Kevin bemerkt plötzlich, daß er sein Armband bei Madeline vergessen hat. Er blickt nur noch erschrocken auf seinen Arm und fährt prompt in einem Busch.)

...hatte ich alles verloren.

EXT. MORGEN. STRASSE
(Am nächsten Morgen fährt Kevin wieder mit seinem Rad die Straße entlang.)

Es geht doch nichts über eine morgendliche Runde auf dem Fahrrad, um den Kopf rein zu bekommen. Irgendetwas suchte ich. Es hätte mein Namensarmband sein können, aber wo das war wußte ich ja. Also suchte ich vielleicht etwas anderes.

(Kevin erblickt Winnie, die mit zwei anderen Mädchen an der Haltestelle des Schulbusses steht. Er hält an und sie erblickt ihn ebenfalls.)

WINNIE (zu den Mädchen): Hallo! (überrascht) Kevin!

KEVIN: Hi!

(Sie kommt zu ihm hinüber.)

WINNIE: Kevin, was tust du denn hier?

KEVIN: Äh, ich hab mich...wohl etwas verfahren. Das kann ja so schnell gehen.

Das stimmte, und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht.

KEVIN: Ach, und ich hab an dich gedacht.

Das stimmte auch...

WINNIE: Ja? Das ist schön.

Das war wirklich schön. Es machte mir wieder Mut, gab mir ein sicheres Gefühl.

WINNIE: Erzähl, wie lief's denn gestern?

(Eine kurze Rückblende zeigt Madeline, die Kevin ihren Finger mit der Mousse vor den Mund hält und in verführerisch Ton sagt: Koste es!)

Das Gefühl, daß mein Magen Achterbahn fuhr.

KEVIN: Äh, uh...es war ganz okay. Es war nur 'ne unheimliche Kocherei.

WINNIE: Was habt ihr gemacht?

KEVIN: Äh, gar nichts besonderes. Bloß, na ja, Schokoladenmousse.

WINNIE: Oh, das hört sich lecker an.

KEVIN: Vermutlich. Ich hab das Zeug nicht gekostet!

(Nach einem Moment bedrückender Stille bemerkt Winnie, daß Kevin das Armband gar nicht trägt.)

WINNIE (besorgt, aber nicht ärgerlich): Kevin, wo hast du denn dein Armband?

Das war der Augenblick der Entscheidung. Ich konnte ein Mann sein und ihr alles erzählen...

KEVIN: Äh, das trag ich beim Radfahren nie.

Oder ich konnte ein Wurm sein und mich herauswinden.

(Ein Schulbus nähert sich.)

KEVIN: Da hab ich bloß Angst, es verschwindet.

WINNIE: Aber heute abend trägst du es, oder?

KEVIN: Heute?

(Der Bus hält direkt hinter Winnie und Kevin.)

WINNIE: Wenn wir ins Kino gehen.

KEVIN: Oh, ja, natürlich.

WINNIE (erleichtert): Toll. Also, wir sehen uns nachher.

(Winnie gibt Kevin einen Kuß.)

WINNIE: Du bist der Beste.

(Sie geht zum Bus. Kevin sieht ihr nach.)

Aber ich kam mir nicht vor wie der Beste.

(Vor dem Einsteigen dreht Winnie sich noch einmal lächelnd zu Kevin um.)

Ich kam mir eher vor wie...

INT. VORMITTAG. KLASSENRAUM
(Close-up von Madeline's Gesicht.)

MADELINE: Mousse au chocolat. Voilà!

(Kevin steht dicht neben Madeline, die der Klasse die Schüssel präsentiert. Er fühlt sich sichtlich unwohl, während die Klasse und Mrs. Falcinella, die Französischlehrerin, beeindruckt sind und applaudieren.)

Was am schlimmsten war: Ich bekam noch Applaus dafür.

MRS. FALCINELLA: Très bien! Très bien! Ihr müßt wirklich ein gutes Team sein. Sehr schön.

Wenn die wüßte...

(Es klingelt.)

MRS. FALCINELLA: Merci, à bientôt! (Danke. Bis später.)

(Die Schüler verlassen den Raum und Mrs. Falcinella greift sich ihre Unterlagen. Kevin guckt zu Madeline.)

Es war sinnlos, sich zu drücken. Ich mußte es hinter mich bringen, kurz und bündig.

KEVIN: Madeline, gestern hab ich mein Armband bei dir liegen lassen.

MADELINE: Ja, ich weiß.

KEVIN: Die Sache ist die...Ich hätte es gern. (zögert) Ich geh heut weg...mit Winnie. Ich bin verabredet. Im Kino. Heute Abend. Mit Winnie.

Sagte ich "mit Winnie"?

MADELINE (freundlich): Natürlich kriegst du dein Armband.

Na also. Die Sache war über die Bühne. Aus und vergessen.

MADELINE (sucht in ihrer Tasche): Ach, das tut mir echt leid. Ich hab's nicht mitgebracht.

KEVIN: Oh.

MADELINE: Gut, daß heißt, es gibt ein Problem, nicht? Hab ich recht?

KEVIN: Wie ist das gemeint?

MADELINE: Du mußt wohl heute zu mir nach Hause kommen und es dir abholen. Um wieviel Uhr bist du da? Ich warte auf dich.

INT. TAG. BIOLOGIERAUM
(Mr. Cantwell zeigt wieder einmal einen Film, den er mit seiner schrecklich monotonen Stimme kommentiert. Zur Zeit sieht man gerade eine Großaufnahme einer Fliege, die in einem Spinnennetz gefangen ist und zu entkommen versucht, während sich die Spinne ihr unaufhaltsam nähert. Irgendwie paßt die Szene zu Kevin's Situation.)

MR. CANTWELL: Seht euch den Gejagten an, wie er ohne Hoffnung im Netz zappelt. Seht euch den Jäger an, wie er mit triefenden Kauwerkzeugen lauert. Ein trauriger und makaber wirkender Todestanz. Man fragt sich, was die Spinne wohl denken mag.

Ich war nicht sicher, aber ich konnte es mir ziemlich gut vorstellen.

PAUL: Kev? Alles okay?

KEVIN: Klar. Und wie.

Aber es war nichts okay. Ich brauchte Hilfe, einen Ratschlag.

KEVIN: Ich hab mein Armband verloren...das Winnie mir geschenkt hat - und wir sehen uns heute.

PAUL: Verloren? Echt?

KEVIN: Sagen wir liegenlassen, nicht verloren.

PAUL: Wo denn?

KEVIN: Na ja...irgendwo...

Für so einen lumpigen kleinen Tip mußte man ja nicht gleich mit Details um sich werfen.

KEVIN: Was denkst du, was soll ich tun?

PAUL: In so 'nem Fall kannst du nur eins tun.

Ich hatte seine Antwort schon förmlich im Ohr: Aufrichtig sein! Ehrlich sein!

PAUL: Ein neues besorgen!

KEVIN: Was?

PAUL: Denk daran, was dir sonst blüht.

(Die Spinne hat ihre Mahlzeit - die Spinne - inzwischen fast gänzlich verschlungen.)

MR. CANTWELL: Tod. Zerstückelung. Exitus.

INT. NACHMITTAG. JUWELIERGESCHÄFT
(Ein älterer juwelier steht mit dem Rücken zu Kevin hinter der Theke. Von irgendwoher hört man eine Frauenstimme.

KEVIN: Entschuldigen Sie! Sir?

(Der juwelier dreht sich zu Kevin um.)

KEVIN: Ich hätte gern ein Armband. Mit Namensgravur.

JUWELIER: Ja, sowas haben wir hier drüben.

(Er zeigt Kevin eins der obersten Schubfächer unter der Theke, die nur durch Glas abgedeckt ist. In dem Schubfach liegen einige sehr verschiedene, ungravierte Namensarmbänder.)

Das war die Tour! Warum war ich darauf nicht früher gekommen?

JUWELIER: Was darf's denn sein? Gold, Silber oder verchromt? Abgerundet, quadratisch oder oval?

KEVIN: Was kosten denn die? (zeigt auf Armbänder, die hinter dem juwelier im Regal liegen.)

JUWELIER: 9 Dollar 75.

KEVIN: Ich hätt gern so eins.

JUWELIER: Ist das ales?

KEVIN: Nein, es soll noch graviert werden. Und zwar billig.

Na ja, es sollte ja nur für einen Abend sein.

JUWELIER: Ich brauch den Namen, der drauf soll.

(Er schiebt Kevin ein Blatt Papier und einen Kugelschreiber zu und wartet geduldig, bis Kevin den Namen aufgeschrieben hat - seinen eigenen Namen, was den juwelier nur zu einem geringschätzigen, verächtlichen Lächeln animiert.)

INT. EVENING. KEVINS ZIMMER
(Kevin steht vor seinem Aquarium. Er öffnet die Box, die er in der Hand hält und nimmt sein neues Armband heraus.)

Endlich war alles wieder beim alten. Gut, ich hatte mir ein paar Fehltritte erlaubt - aber jetzt würde alles wieder gut werden. Ich hatte in letzter Sekunde noch reagiert, alle Spuren verwischt. Er war wieder hergestellt, der gute Name von...Kevin Amold?! Das heißt ja soviel wie Schimmelpilz!!

KEVIN: Oh mein Gott! (sinkt auf einen Stuhl)

Ich war einer tödlichen Kombination zum Opfer gefallen: Eine schlampige Handschrift, Zeitdruck und ein kurzsichtiger Juwelier.

(Kevin vergleicht die Gravur mit seiner Handschrift, die leider wirklich sehr leicht als "Kevin Amold" mißzuverstehen war.)

KEVIN: Oh mein Gott!

(Eine Hand greift nach dem Armband.)

WAYNE (liest): Kevin AMOLD? Iehhhhh...(lacht immer lauter und läßt sich auf das Bett fallen) Kevin Schimmelpilz! (gibt schließlich das Armband zurück)

In dem Moment wurde mir klar, daß es nur einen Ausweg gab. Ich wußte, was ich zu tun hatte, und ich wußte auch, wie.

EXT. ABEND. HAUS DER ADAMS
(Kevin steht wieder mit seinem Fahrrad in der Einfahrt vor Madeline's Haus.)

Der Augenblick der Entscheidung war gekommen. Ich würde sie darum bitten und falls nötig darauf bestehen, daß sie mir mein Armband zurückgab. Das hätte ich schon die ganze Zeit machen sollen.

(Kevin stellt sein Fahrrad ab und nähert sich der Haustür.)

Verdammt! Ich war kein Schimmelpilz, ich war Kevin Arnold! Ich wußte, was ich wollte!

(Er klopft dreimal.)

Ich wußte genau, was ich zu sagen hatte...

(Er klopft nochmal dreimal.)

...und ich würde es auch sagen...

(Er klopft noch einmal dreimal hintereinander, und obwohl im Haus Lichter brennen, öffnet niemand die Tür.)

...und zwar direkt zu...ihrer Haustür.

(Er dreht sich um und geht.)

INT. ABEND. KINO
(Kevin sitzt links neben Winnie und hat seinen linken Arm vorsichtshalber mit allen Arten Süßigkeiten und Junkfood bedeckt. Es ist nicht besonders voll im Saal, obwohl der Film bereits läuft. Den Geräuschen und Gesprächen nach scheint es ein Flugzeug-Katastrophenfilm zu sein.)

MANN (V/O; aus dem Film): Wir haben nur noch ein funktionierendes Triebwerk!

FRAU (V/O; verzweifelt) Was sollen wir jetzt tun?

(Anmerkung: Der Rest des Dialogs war zu undeutlich, um ihn zu verstehen. Außerdem spielt er ja keine bedeutende Rolle und wird sowieso von Kevin's und Winnie's Gesprächen überdeckt.)

(Winnie ißt Popcorn und blickt gebannt auf die Leinwand.)

Es geht doch nichts über einen guten Film. Das Drehbuch, die Musik - die völlige Dunkelheit. Bisher war es mir gelungen, Winnie von dem Armband, daß ich nicht umhatte, abzulenken. Aber ich wußte, früher oder später...

KEVIN (kleinlaut): Winnie?

...würde ich damit rausrücken müssen.

KEVIN (überlegt es sich anders und hält Winnie eine Tüte vor die Nase): Magst du vielleicht noch etwas Lakritze?

Oder es solange hinauszögern, wie ich konnte.

WINNIE: Nein, vielen Dank.

KEVIN: Wie wär's mit Schokolade?

WINNIE (lächelnd): Ich brauche nichts. Wirklich nicht.

Na gut, ich war ein Feigling. Ich brauchte Zeit - Zeit um zu überlegen, Zeit um zu planen.

(Ohne ersichtlichen Grund dreht sich Kevin plötzlich nach hinten um und erblickt Madeline, die sich zuerst suchend umschaut und schließlich in Kevin's Richtung geht.)

Zeit, um der Welt Lebewohl zu sagen.

MADELINE (zu anderen Leuten, als sie sich durch eine der Reihen zwängt): Darf ich mal? Entschuldigen Sie. Verzeihen Sie.

(Madeline setzt sich genau auf den Sitz hinter Kevin und Winnie, so daß sie zwischen ihn hindurchblick kann. Kevin atmet laut und schnell, was Winnie natürlich nicht verborgen bleibt.)

WINNIE (besorgt): Kevin, ist dir schlecht?

KEVIN: Mir?

WINNIE: Du siehst ganz schwitzig aus! Hast du was?

KEVIN: Na ja, ich...äh...weißt du, äh...

WINNIE: Am besten, wir gehen nach Hause.

Aber in dem Moment wußte ich, daß einfach gehen das Problem nicht lösen würde. Es gab kein Entkommen. Ich steckte in einer Sackgasse.

KEVIN: Winnie, wir müssen uns unterhalten. Über mein Armband...Tja, ich...na ja...

MADELINE (zu Kevin) Entschuldigung! Das ist dir runtergefallen.

(Winnie nimmt das Armband.)

WINNIE (freundlich; wohl etwas überrascht): Danke schön.

MADELINE: Es ist wirklich herrlich.

WINNIE: Danke. Das hat er von mir.

MADELINE: Na ja, jemanden so zu lieben muß wirklich sehr schön sein. (geht wieder)

WINNIE (zu Kevin): Das war irre nett von ihr, nicht?

(Kevin antwortet nicht.)

INT. NACHT. KEVINS ZIMMER
(Kevin sitzt auf seinem Bett.)

Das Leben ist eine Straße voller Schlaglöcher und Kurven. Die Dingen laufen nicht immer so, wie man es erwartet. Trotzdem - an diesem Abend wußte ich, daß ich die Kurve noch einmal gekriegt hatte. Und was die Zukunft anging - na ja, da machte ich mir keine Sorgen. Ich hatte meine Freundin und ich hatte meinen guten Namen wieder. Und diesmal würde ich ihn behalten.

(Kevin legt Winnie's Armband um sein Handgelenk und verschließt es sorgfältig.)

Für immer.

(Plötzlich löst sich das Armband und fällt zu Boden.)

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09/10/01 19:50