Episode 25 - "Verfluchte Formeln"

Transcript: Daniel Görlich



OPENING TITLES

OPENING SEQUENCE
(Bilder vom Wiedereintritt einer Raumkapsel in die Erdatmosphäre und aus dem Kontrollzentrum.)

Der Übergang vom Sommer zum Herbst war immer wieder heikel. Der Wiedereintritt in die Schulatmosphäre mußte - wie bei den Astronauten - äußerst vorsichtig vonstatten gehen, damit uns der plötzlich ansteigende Druck nicht umbrachte.

INT. TAG. SCHULKORRIDOR
(Paul und Kevin stehen vor einer Treppe und sehen sich um. Auf dem Gang stehen massenweise Schüler der Klassenstufen 7 bis 10. Einige sind neu an der Schule und versuchen sich zu orientieren, andere begrüßen die lange nicht mehr getroffenen Freunde.)

SCHÜLER #1: Na, wie geht's?

Trotzdem: Der Anfang der achten Klasse sah ganz nach einer weichen Landung aus.

SCHÜLER #2: Hi!

Jetzt waren wir auch nicht mehr die letzten in der Rangfolge. Wir waren Männer inmitten kleiner Siebtkläßler. Was noch wichtiger war: Wir waren Männer inmitten kleiner Siebtkläßlerinnen!

(Die Klingel läutet. Paul und Kevin rennen fröhlich die Treppe hinauf.)

INT. TAG. SCHULRAUM
(Die Klasse sitzt auf dem Fußboden und sieht ein Video über Woodstock.)

In Sozialkunde redeten wir über Woodstock.

INT. TAG. SPORTHALLE
(Die Jungen beobachten Coach Cutlip, der zwei Kletterseile festhält.)

MR. CUTLIP: Männer...Das sind Seile. Ist das soweit klar?

Im Sportunterricht wurde uns das Offensichtliche nahegebracht.

INT. TAG. SCHULRAUM
(Miss Martensen steht im hinteren Teil des Raumes und zeigt verschiedene Dias vom Triumphbogen und anderen Sehenswürdigkeiten in Paris. Kevin sitzt an einem der vorderen Tische.)

In Französisch zeigte Miss Martensen Dias von ihrer Parisreise.

(Miss Martensen zeigt das nächste Dia: Es zeigt sie und einen Mann, der ihr einen Kuß auf den Hals gibt.)

MISS MARTENSEN: (räuspert sich) Falsches Dia.

(Kevin dreht sich belustigt zu ihr um.)

Ja, es lief alles 1A. Da konnte einfach nichts schiefgehen.

INT. TAG. MATHERAUM
(Die Schüler laufen oder stehen ungeordnet im Raum rum und reden laut miteinander. Der neue Mathelehrer, Mr. Collins, kommt herein und begibt sich sofort zum Lehrertisch.)

Bis zur vierten Stunde.

MR. COLLINS: Setzt euch und schlagt eure Lehrbücher auf! Kapitel 1 - auf Seite 16 geht es los. Wir beginnen heute mit der Einführung in die Variablen.

(Alle Schüler haben sich schleunigst einen Platz gesucht. Kevin sitzt schräg hinter Paul.)

KEVIN:(leise zu Paul) Wer ist dieser Kerl?

MR. COLLINS: (ohne sich zur Klasse umzudrehen und ohne mit dem Anzeichnen von Diagrammen an die Tafel aufzuhören) Ich bin Mr. Collins. Wenn wir ein Symbol wie x benutzen, das ein nicht spezifiziertes Element einer Menge darstellt...

Das war sie wohl schon, die Einführung.

MR. COLLINS: (steht weiter direkt vor der Tafel und zeichnet mit der linken Hand ein Mengendiagramm an die Tafel) In einem Mengendiagramm wird S als Platzhalter für die Variable x verwendet, wohingegen T...

Sowas wie ihn hatten wir noch nie gesehen. Er war eine Mathemaschine - er bestand nur aus Mathematik. Nicht als Mathematik - die Kreidestriche belegten das.

MR. COLLINS: Wenn das Ergebnis der Mengen S und T in unserem Fall -2 und 0 ist, was ist dann der Durchschnitt? (dreht sich zur Klasse um und wartet darauf, daß sich jemand meldet, was schließlich auch geschieht.)

Angesichts dieser unerbittlichen Kraft nahmen wir die Herausforderung an...

MR. COLLINS: Ja?

SCHÜLERIN: (leise) Mr. Collins, sagen Sie, woher können Sie eigentlich so schöne Kreise zeichnen?

...jeder von uns auf seine Art.

MR. COLLINS: Das spielt keine Rolle. Es ist nicht nötig, perfekte Kreise zu zeichnen, um die Aufgaben korrekt zu lösen. Die äußere Form ist kein Notenkriterium.

Er war durch nichts aus der Ruhe zu bringen.

MR. COLLINS: Mmh? (nickt einem anderen Schüler zu, der sich gemeldet hat)

SCHÜLER: Ist das vielleicht so'n Kram, mit dem man die durchschnittlichen Spielergebnisse von Footballspielern...

Nicht durch die Faszination des Sports...

MR. COLLINS: Nein, die ermittelt man durch einfache Arithmetik.

(Ein anderer Schüler aus der letzten Reihe meldet sich, streckt den Arm so weit er kann nach oben (wofür er ihn auch noch festhalten muß) und stößt mehrere Male ein beinahe schmerzvolles "Uh, uh" aus. Mr. Collins ignoriert ihn.)

Nicht einmal durch die Schreie der Gefolterten.

MR. COLLINS: Die Antwort lautet: Die Menge von -2 und 0.

(Der Schüler läßt mit einem lauten Seufzer den Arm und anschließend sich selbst auf den Tisch fallen.)

Wir setzten ihm alles entgegen, was wir hatten...

MR. COLLINS: ...nämlich um zu illustrieren, wie sich das Schema...

(Einige Zeit später...)

MR. COLLINS: ...In Menge B befinden sich...

...aber wir wurden einfach überrollt. Also diese Zahlen und die negativen Zahlen der Menge A ergeben zusammen die Menge der rationalen Zahlen.

KEVIN:(flüstert zu Paul) Pssst! Auf welcher Seite sind wir?

MR. COLLINS: (wieder ohne sich umzudrehen) Keine Privatgespräche! Die Menge R umfaßt also die rationalen Zahlen...

Na Moment mal! Hielt sich denn dieser Kerl für den Allergrößten, oder was?

(Plötzlich steht Mr. Collins neben Kevins Tisch und sieht ihn scharf an.)

MR. COLLINS: Ja?

(Kevin dreht sich langsam zu ihm um.)

MR. COLLINS: Gibt es vielleicht Probleme?

KEVIN:Ähm...nein.

(Es klingelt. Alle Schüler springen auf.)

MR. COLLINS: Bis morgen...

(Alle Schüler erstarren anscheinend mitten in der Bewegung.)

MR. COLLINS: ...beschäftigt ihr euch bitte mit den Aufgaben 1 bis 10 auf der Seite 18.

(Die ganze Klasse mault. Die Schüler packen ihre Sachen zusammen und beginnen, den Raum zu verlassen.)

PAUL: Oh Mann! Sag mal, was ist denn das für einer? Der macht uns fertig.

KEVIN:Ich würd' mir deswegen keine Sorgen machen.

Zugegeben: Er sah wie ein harter Brocken aus, aber das jagte mir keine Angst ein.

KEVIN:Komm, laß uns essen gehen.

Ich will ja hier nicht angeben, aber ich war ein ziemlich aufgeweckter Junge - im Gegensatz zur...

INT. ABEND. WOHNZIMMER
(Norma, Jack, Wayne und Kevin sitzen um den Tisch herum. Wayne kratzt mit dem Finger eine Schüssel leer und sieht dabei fern.)

...Konkurrenz.

NORMA: Wayne, wie war denn der erste Tag in der Highschool?

WAYNE: Hä?

Wayne erfüllte ziemlich genau die Erwartungen meiner Eltern. Von mir erwarteten sie doch etwas mehr.

KEVIN: Naja, ich hatte einen guten Tag. Englisch, Französisch, Mathe...

Seien wir ehrlich: Sie waren stolz auf mich. Aber wahrscheinlich waren ihre Maßstäbe nicht so hoch gesteckt.

WAYNE: (rülpst laut) So, ich fahr' jetzt zu Dolores.

JACK: Einen Augenblick. Nicht in der Woche. Hier werden Hausaufgaben gemacht, wenn am nächsten Tag Schule ist.

WAYNE: Und was ist mit ihm? (zeigt auf Kevin)

JACK: Was ist mit ihm?

WAYNE: Ihn seh ich keine Hausaufgaben machen.

JACK: Gut - bring du Kevins Noten nach Hause, dann können wir uns darüber unterhalten.

Gut, manchmal war es direkt ein bißchen peinlich, aber es war ja auch eine gewisse Verantwortung damit verbunden. Ja, es wär keine schlecht Idee, ein bißchen zu büffeln, das Jahr mit einer satten Eins zu beginnen. Eine Zwei ginge auch - Zwei plus vielleicht.

INT. TAG. MATHERAUM
(Kevin bekommt seinen Test zurück. In der linken oberen Ecke steht, mit rotem Kugelschreiber geschrieben, ein großes "D" - nach dem amerikanischen Bewertungssystem ist das eine...)

KEVIN: Vier?

MR. COLLINS: Das sind die Ergebnisse eures Tests.

KEVIN:(schockiert und ungläubig) Nein!

Es war furchtbar. Ich hatte noch nie eine Vier bekommen. Nicht einmal in Schönschreiben.

(Es klingelt. Wieder einmal springen alle Schüler auf, bleiben aber wieder stehen, als Mr. Collins die Hausaufgaben ansagt.)

MR. COLLINS: Eure Hausaufgabe: Aufgaben 15 bis 25 auf der Seite 20.

(Die Klasse mault wieder, allerdings diesmal ohne Kommentare bezüglich ihrer Meinung über den neuen Lehrer.)

Es gab nur eine logische Erklärung: Das mußte ein Irrtum sein.

PAUL: Kevin, gehen wir essen?

KEVIN:Ich muß noch mit Collins reden. Du kannst ja schon gehen.

PAUL: Okay, komm aber nicht zu spät. Heute ist Pizzatag.

(Kevin geht zum Lehrertisch. Inzwischen haben alle anderen Schüler den Raum verlassen.)

Ich mußte die Sache mit etwas Taktgefühl angehen.

KEVIN: Hi!

Letztendlich war er auch nur ein Mensch.

MR. COLLINS: (blickt auf) Ja?

Soviel zu dieser Theorie...

KEVIN: Ähm, äh...Ich hab zu meinem Test nochmal 'ne Frage.

MR. COLLINS: Ja?

KEVIN: Wegen der Note. "Vier" steht da.

MR. COLLINS: Das ist richtig.

Gut, den Anfang hätten wir.

KEVIN: Ja, das...könnte ein Irrtum sein.

MR. COLLINS: Gut, sehen wir's durch. (überprüft die Lösungen noch einmal) Du hast recht.

Na also! War doch gar nicht so schwer.

MR. COLLINS: Nummer 5 war nämlich minus einhalb, das heißt ein halber Punkt Abzug, dann ist es eine Vier minus. Nett, daß du mich darauf aufmerksam gemacht hast.

KEVIN: (völlig betreten) Oh.

Einen Augenblick! So ging es ja nun nicht!

KEVIN: Mr. Collins?

MR. COLLINS: Was?

KEVIN: Nun ja...

MR. COLLINS: Solltest du Probleme haben - ich gebe nach der Schule Nachhilfeunterricht, und zwar dienstags und donnerstags.

Halt, halt, halt! Der Kerl bekam ja einen völlig falschen Eindruck von mir. Das mußte ich erstmal wieder auf die Reihe bringen, und zwar schnell.

KEVIN: Nein, die Sache ist die: Ich bringe normalerweise nie Vieren nach Hause.

MR. COLLINS: Ach nein?

KEVIN: Naja, ich meine, das ist doch eigentlich sehr ungewöhnlich, nicht? Sie schreiben am zweiten Schultag gleich einen Test.

Soweit, so gut.

KEVIN: Ich, ähm...möchte damit sagen, daß...ich...mich normalerweise viel besser vorbereite... und...und...ich finde das ist nicht repräsentativ für meine sonstigen Leistungen in dieser Schule.

MR. COLLINS: Dann kann ich mich ja schon auf die Testergebnisse freuen, die du in Zukunft lieferst. (Pause) Sonst noch was?

KEVIN: (ernüchtert) Nein, das war's.

Das war's. Super. Alles bestens. Wenn Collins das nicht anders wollte...

INT. ABEND. KEVIN'S ZIMMER
(Kevin sitzt am Schreibtisch und blickt in sein Mathebuch, als Jack die Tür öffnet und ins Zimmer blickt, ohne einzutreten.)

JACK: Na, büffelst du schön?

KEVIN: (stolz) Ja.

JACK: (zufrieden) Mmh. (zuversichtlich) Naja, du packst das locker.

(Jack geht wieder und schließt die Tür hinter sich.)

(ebenfalls zuversichtlich) Klar packte ich es. Tatsache war, daß ich für den ersten Test nicht richtig gelernt hatte. Aber jetzt war es mir ernst. Ich würde Collins schon zeigen, was ich wirklich drauf hatte.

INT. TAG. MATHERAUM
(Mr. Collins gibt wieder Tests zurück. Kevin nimmt mit freudiger Erwartung sein Blatt entgegen und...)

KEVIN: Was!?

Das war verrückt, das war irrsinnig. Das war...

KEVIN: (geschockt) Noch eine Vier.

Was war hier eigentlich los? Kam ich plötzlich nicht mehr mit? Es mußte eine andere Erklärung geben.

INT. MITTAG. CAFETERIA
(Paul und Kevin stehen an der Essensausgabe und schieben Tabletts vor sich her.)

KEVIN: Dieser Typ ist nicht zu fassen. Das ist echt ein Verrückter! Ich meine, "normal" kann man das nun wirklich nicht mehr nennen. Jetzt mal ehrlich: Der Mann ist brutal, Paul. Sie dir nur an, was der uns für Zeug aufdrückt. Seine blöden Überraschungstest ! Erklär mir eins: Warum nennt er das "Überraschungstest", wenn er jede Stunde einen ansetzt.

PAUL: Weiß ich doch nicht.

KEVIN: Natürlich nicht. Woher auch ? Weil das ganze total unlogisch ist. Worüber hat er heute gesprochen? (geringschätzend) Über den absoluten Betrag. Die halbe Klasse wußte gar nicht, was er damit meint. Was soll denn das überhaupt sein, der "absolute Betrag"?

PAUL: Der Betrag einer Zahl unabhängig von ihrem Vorzeichen.

Ähm, na gut. War 'n blödes Beispiel.

(Die beiden finden einen freien Tisch und setzen sich einander gegenüber. Sie legen ihr Schulzeug neben sich auf den Tisch.)

KEVIN: Du kapierst nicht, worum's geht, Paul. Ich versuch dir zu erklären, daß Collins viel zu viel von uns verlangt. Wir bringen uns doch alle regelrecht um. Was will er tun? Lauter Vieren verteilen?

(Paul sieht Kevin durch seine dicke Brille hindurch an.)

Es gibt einen bestimmten Blick, den einem nur ein enger Freund zuwerfen kann. Einen Blick, der sagt: "Du bist gerade dabei, dich zum absoluten Vollidioten zu machen." Paul hatte diesen Blick.

KEVIN: Paul?

PAUL: Hä?

KEVIN: Was hattest du denn in dem Test?

PAUL: Hab ich vergessen.

(Kevin zieht das oberste Blatt aus Pauls Heftermappe. Es ist der Mathetest, und in der oberen linken Ecke steht in großer, roter Schrift "A-", also Eins minus.)

PAUL: Das bedeutet noch lange nichts. Ich hatte Glück, das ist alles.

KEVIN: (erschüttert) Ja. Du hattest Glück!

PAUL: Ich geh mir 'n bißchen Nachtisch holen. Möchtest du auch was?

Ich hatte keinen Hunger. Was ich wirklich hatte, waren...Sorgen.

INT. ABEND. KEVIN'S ZIMMER
(Kevin sitzt wieder über seinem Mathebuch. Plötzlich klopft jemand an die Tür. Jack kommt herein, bleibt aber wieder im Türrahmen stehen.)

JACK: Wir gehen alle Eis essen. Willst du mitkommen?

KEVIN: Ähm, nein danke. Ich lerne gerade.

JACK: Lernst du für die nächste Eins?

KEVIN: Ja.

(Jack will gehen.)

KEVIN: Dad?

DAD: Was?

(Pause.)

KEVIN: Ach, nichts.

(Kurze Pause.)

JACK: Arbeite nicht zu hart.

KEVIN: Nein.

(Er geht und schließt die Tür hinter sich.)

Ich hätte vielleicht da schon etwas sagen sollen, aber aus irgendeinem Grund tat ich es nicht. Wie sollte ich ihm erklären, daß ich nicht der Kevin Arnold war, für den er mich hielt?

KEVIN: (liest in dem Buch; leise, zu sich selbst) Der absolute Betrag von -1 ist 1.

INT. TAG. MATHERAUM
(Die nächste Mathestunde.)

MR. COLLINS: ...ist also gleich 0. Es ergibt sich daraus, daß x-3 und x-1 gleich 0 sind. Damit haben wir dann zwei Lösungen. Haben sie etwas gemeinsam?

Wärend der folgenden Tage wurde es schlimmer und schlimmer.

MR. COLLINS: Mr. Arnold?

KEVIN: (fragend) Ja?

MR. COLLINS: Der Durchschnitt der Mengen B und C.

KEVIN: Ähm... x+4 ?

MR. COLLINS: Falsch. Mr. Pfeiffer?

PAUL: Ähm, eins und zwei?

MR. COLLINS: Richtig.

(Paul wirft Kevin einen entschuldigenden Blick zu.)

MR. COLLINS: Eins und zwei. Als Menge ausgedrückt heißt das: x steht für...

Der Druck wurde immer stärker.

INT. ABEND. KÜCHE
(Die ganze Familie Arnold sitzt am Tisch und ist Abendbrot.)

NORMA: Wie läuft es denn so in der Schule, Schätzchen?

KEVIN: (leise) Ach, bestens.

Mein Leben war eine Lüge ! Es war nur eine Frage der Zeit, bis alles aufflog.

(Norma hält plötzlich eine Glaskanne mit Zitronenlimonade in der Hand.)

NORMA: Kevin, sagen wir mal, diese Kanne voll Limonade enthält acht Portionen von jeweils einem Glas. Wieviel Portionen ergeben sich, wenn man die Gläser nur zu zwei Dritteln füllt?

(Alle hören auf zu kauen, beugen sich vor und starren Kevin an. Kevin bricht in kalte Panik aus und bringt nicht einen klaren Gedanken zustande. Plötzlich scheint alles wieder normal zu sein.)

NORMA: Kevin? Möchtest du auch ein bißchen Limonade?

KEVIN: Äh, nein. Danke.

NORMA: Komm schon, Schätzchen, die wird dir gut tun.

Vielleicht. Aber fest stand, daß Limonade meine Probleme leider auch nicht lösen würde.

INT. NACHMITTAG. SCHULKORRIDOR
(Kevin steht alleine im Gang und trinkt Wasser aus einem kleinen Trinkbrunnen, der sich gegenüber von Mr. Collins' Raum befindet.)

An diesem Nachmittag schlenderte ich zufällig an Mr. Collins Unterrichtsraum vorbei. Wie gesagt, rein zufällig. Ach, was war schon dabei. Vielleicht würde ich kurz reinsehen und mir von der alten Nachhilfegruppe ein paar Tips holen.

(Kevin späht durch das kleine Fenster in den Unterrichtsraum und sieht vier Gestalten (drei Jungen, ein Mädchen), die nicht gerade vertrauenserweckend aussehen.)

Moment mal! Das sollte die Nachhilfegruppe sein!? Jeff Bledsoe dachte, die Boston Tea Party wär eine Massenschlägerei um Käse gewesen. Frank Barnes war schon seit der Eisenhower-Regierung in der achten Klasse. In der Hierarchie der Junior Highschool liefen diese Typen, mal ganz ehrlich, fünf Meter unter der Grasnarbe.

(Mr. Collins ist ohne ein Geräusch an Kevin herangetreten.)

MR. COLLINS: Wolltest du zu uns?

KEVIN: Äh...nein. Ich, äh...hab...in der Klasse was liegen lassen. Nämlich den hier. (zeigt einen Bleistift hoch)

MR. COLLINS: Wir schreiben kommende Woche eine wichtige Arbeit. Du könntest diese Gelegenheit nutzen, um deine Note zu verbessern.

KEVIN: Ja, äh...wissen Sie, äh...das ist nett gemeint, aber...ich muß jetzt wirklich los.

Hey, was glaubte er, wen er vor sich hatte? Irgendeinen Verlierer?

EXT. TAG. GARAGE
(Paul und Kevin spielen vor der Garade Basketball. Paul hat wie immer keine Chance.)

KEVIN :Der Verlierer fängt an. (wirft Paul den Ball zu.)

(Kevin wirft einen Korb nach dem anderen und spielt Paul ohne Probleme aus. Schließlich stößt er ihn zu Boden und wirft einen weiteren Korb.)

Jetzt ging es mir besser.

KEVIN: 15:0, Paul. Noch ein Spiel?

PAUL: Nein danke.

KEVIN: Warum nicht?

PAUL: Ich muß für die Arbeit lernen.

Autsch!

KEVIN: Ach komm, bloß noch ein Spiel.

PAUL: Ich kann nicht.

KEVIN: Paul!

PAUL: Wir können ja auch zu zweit lernen, wenn du möchtest.

KEVIN: Was soll denn das nun wieder bedeuten?

PAUL: (verwirrt) Gar nichts.

KEVIN: Auf dein Mitleid kann ich verzichten, Paul.

PAUL: So war's überhaupt nicht gemeint.

KEVIN: Ich brauche deine Hilfe nicht.

PAUL: Fantastisch. Also bis dann.

KEVIN: Alles klar, Mr. Mathegenie.

PAUL: Kevin!

KEVIN: Oh, tut mir leid, Paul. Ich bin nicht der geborene Mathematiker, so wie du. Du müßtest dich mal selbst hören wie du schwafelst. "Der absolute Betrag von 7 ist 3."

PAUL: Eigentlich ist er 7.

KEVIN: Und wenn schon. Paul, mein Leben ist Gott sei Dank nicht so furchtbar öde, daß mein einzigster Nervenkitzel Mathe ist.

Nun sag mal was dazu, Mr. Alleswisser!

PAUL: (gekränkt) Viel Glück für die Arbeit morgen.

INT. TAG. MATHERAUM
(Der Tag der Klassenarbeit. Mr. Collins gibt die Aufgabenblätter aus.)

Na und? Ich brauchte Paul nicht. Ich brauchte niemanden.

MR. COLLINS: Legt die Bücher bitte auf den Boden.

Alles, was ich brauchte, war...ein Wunder.

MR. COLLINS: Auf euren Tischen darf nichts außer euren Bleistiften liegen.

Wenn ich wenigstens eine Zwei minus schaffen könnte...oder eine Drei...oder 'ne Drei minus...Okay, keine Panik. Immer schön mit der Ruhe. Fangen wir ganz oben an. (Kevin liest sich die erste Aufgabe durch.) Frage Nr. 1. Mmh, kommt mir gar nicht bekannt vor. Dann muß man eben eine andere Frage suchen, die man beantworten kann, und damit anfangen. (Kevin liest sich Aufgabe 2 durch, ohne ihren Sinn zu verstehen) Einfach ignorieren! Gleich weiter zur nächsten Frage! (Kevin sieht sich auch die anderen Fragen an. Im Hintergrund ist sein Herzschlag zu hören, der immer schneller wird) Nach etwa vier Minuten war es dann soweit: Die totale Panik brach aus.

(Kevin sieht sich im Matheraum um. Plötzlich sieht er, daß Mr. Collins etwas sagt, aber es klingt seltsam verzerrt, als ob er in Zeitlupe sprechen würde.)

Ich war völlig fertig. Ein Ertrinkender auf der Suche nach einem rettenden Strohhalm, an den er sich klammern könnte. Irgend einem.

(Kevin entdeckt Paul und wirft ihm einen verzweifelten Blick zu, aber Paul legt nur die Hand auf sein Blatt und schreibt weiter.)

Da begriff ich, daß ich so tief gesunken war, wie es in der achten Klasse Algebra überhaupt nur ging.

(Später. Es klingelt.)

Und dann war es vorbei.

MR. COLLINS: Bitte gebt eure Tests ab!

(Allgemeines Aufstöhnen. Die Schüler gehen nach vorne, geben ihre Arbeiten ab und verlassen so schnell wie möglich den Matheraum. Nur Kevin bleibt starr auf seinem Stuhl sitzen. Schließlich geht er nach vorne und gibt seine Arbeit ab.)

KEVIN: (zu Mr. Collins) Sie brauchen es nicht zu kontrollieren. Es ist eine Sechs. Ich konnte keine Frage beantworten. Hier, ich, „h... verstehe Mathe nicht. Ich bin in Mathe einfach schlecht. Ich hab überhaupt keine Ahnung, worum es geht.

MR. COLLINS: Gut.

KEVIN: (verständnislos) Hä?

MR. COLLINS: Vielleicht fängst du endlich richtig an.

(Mr. Collins zerknüllt das Blatt.)

KEVIN: Warten Sie doch mal! Ich sag ihnen doch, ich hab völlig versagt!

MR. COLLINS: In 14 Tagen ist die nächste Arbeit.

INT. ABEND. KEVIN'S ZIMMER
(Kevin hockt an seinem Schreibtisch und starrt nur geradeaus.)

Ich war durcheinander. Ich fühlte mich verloren. Ich fühlte mich allein.

(Jack schaut wieder ins Zimmer.)

JACK: Na Kumpel, alles klar?

(Keine Antwort.)

JACK: Kevin?

(Pause.)

KEVIN: Nein, Dad. Schön wär's.

INT. TAG. MATHERAUM
MR. COLLINS: Das multiplikativ inverse Axiom besagt, daß zu jeder reellen Zahl, die ungleich 0 ist - wir nennen sie a - auch eine reelle Zahl - nämlich 1/a -, existiert, so daß a mal 1/a 1 ergibt.

Es gibt Zeiten im Leben, in denen man glaubt, man sei verloren.

MR. COLLINS: Kevin? Kannst du den Quotienten vereinfachen?

KEVIN:Ähm...

In denen es scheint, man würde alles falsch machen.

KEVIN: Ein Fünftel.

MR. COLLINS: Nein. Überleg richtig!

Doch dann, für einen kurzen Moment, hat man einen Lichtblick.

KEVIN: Minus ein Fünftel.

MR. COLLINS: Das ist korrekt. Man kann ihn auch vereinfachen, indem man den absoluten Betrag der Faktoren verwendet.

EXT. ABEND. KEVIN'S FENSTER
(Die Kamera blickt von außen durch Kevins Fenster. Man sieht, wie Kevin an seinem Schreibtisch sitzt, während Jack ihm Algebra erklärt.)

Und so begann ich die lange Klettertour ans Licht. Aber diesmal war ich nicht allein.



Non-English Titles/Transcripts
Episode Info
Wonder Years Menu

07/19/01 21:35