Episode 9 - "Weihnachten in Farbe"

Transcript: Daniel Görlich



OPENING SEQUENCE
(Im Fernsehen wird "Silent Night" ("Stille Nacht") gesungen.)

Weihnachten 1968 verliebten sich mein Bruder Wayne und ich - ins Farbfernsehen.

(Wayne und Kevin stehen mit großen Augen vor einigen Farbfernsehern im Kaufhaus.)

Es war mehr als Liebe: Es war eine brennende Leidenschaft. Wir waren Zeugen eines modernen Wunders - und wir beteten es an wie Urmenschen aus der schwarz-weißen Steinzeit. Wir waren zum ersten Mal einer Meinung.

KEVIN: Toll!

WAYNE: Spitze!

(Karen und Norma kommen dazu und starren ebenfalls wie gebannt in die Röhren.)

Sogar Mom und Karen schmolzen dahin beim Anblick dieser fast echten wirkenden Farben.

VERKÄUFER: Guten Tag! Kann ich Ihnen helfen?

NORMA: Oh...

Ja! Pack uns ein Dutzend von diesen Dingern ins Auto! Aber ein bißchen fix!

NORMA: Äh, na ja...

Da wäre leider noch ein - völlig nebensächlicher - winzig kleiner Haken:

NORMA: Da müßten wir erstmal mit meinem Mann sprechen.

EXT. NACHMITTAG. PARKPLATZ
(Es ist bereits dunkel. Auf einer großen Betonfläche - vermutlich einem Parkplatz - hat Jack einen Weihnachtsbaum ausgesucht und ihn zu dem Verkäufer getragen.)

JACK: Das ist nicht Ihr Ernst! Acht Dollar für diesen mickrigen kleinen Ast?

VERKÄUFER (ruhig): Ist doch fast umsonst.

JACK: Das ist schwerer Diebstahl.

Nicht daß mein Vater ein Geizkragen war - nein! Er steckte nur jedes Jahr um diese Zeit in einer Art, äh, Wirtschaftskrise.

JACK: Nächstes Jahr wird der blöde Baum gestrichen!

Es war ein ungünstiger Zeitpunkt, um ihn wegen einer größeren Anschaffung zu löchern - und trotzdem: Auch in einer Notlage gab es Mittel und Wege, ihn weich zu kriegen.

KEVIN: Hey, warte, ich faß mit an, Dad!

(hebt das Ende des Baumen auf und hilft Jack, ihn zum Auto zu tragen.)

Man mußte ihn mit Liebenswürdigkeit erschlagen, in Hilfsbereitschaft ertränken...

(Sie sind beim Auto angekommen.)

KEVIN: Ich hol schon!

(greift durch das Beifahrerfenster ins Handschuhfach, um eine Schnur herauszuholen)

Und ihm die ganze Zeit äußerst genaue telepathische Botschaften übermitteln.

(Kevin sieht Jack scharf an, durchbohrt ihn fast mit seinem Blick und murmelt leise: "Farbfernseher!")

JACK: Ist alles okay?

KEVIN: Natürlich, wieso?

JACK: Ich dachte, du hättest Kopfschmerzen.

Natürlich durfte man sich nicht in die Karten gucken lassen. Das war ein heikles Unterfangen, und es erforderte die Feinfühligkeit...

WAYNE (stellt sich hinter Kevin): Also Dad, was ist? Kaufst du uns einen Farbfernseher oder nicht?

Eines Holzhammers.

JACK (verwirrt): Was für'n Fernseher?

WAYNE: Hat er's nicht erzählt?!

KEVIN: Äh...

JACK: Was soll'n wir denn nur mit sowas?

KEVIN: Na uns Sendungen ansehen! In Farbe!

JACK: So ? Was denn?

WAYNE: Bonanza!

KEVIN: Baseball! Football! ...Baseball.

JACK: Fernseher kosten viel Geld.

Oh oh!

JACK: Und das Geld liegt nicht auf der Straße, das wißt ihr ja.

Ja, und ob wir das wußten. Wenn wir etwas wußten, dann, daß das Geld nicht auf der Straße liegt.

JACK: Kommt einsteigen!

Noch hatte er ja nicht ausdrücklich nein gesagt! Es gab also noch Hoffnung. Schließlich war Weihnachten eine Zeit, in der sich die ausgefallensten Träume erfüllten, in der der Bösewicht zum Engel wurde - also, vielleicht...

JACK: Acht Dollar! Könnt ihr euch sowas vorstellen?! Schwerer Diebstahl!

Na ja, vielleicht auch nicht.

INT. VORMITTAG. SCHULE
(Kevin sitzt zwischen anderen Schülern im Unterrichtsraum. Die lehrerin steht vorne und redet, trotz der Unaufmerksamkeit aller Schüler, Französisch.)

Es gibt nur wenige Dinge, die noch unproduktiver sind als die letzten zehn Minuten Unterricht vor den Ferien.

LEHRERIN: Maintenant, tournez à la page soixante-cinq, s'il vous plait!

(Blättert jetzt bitte um auf Seite 65!)

LEHRERIN: Alors, ****!

(Anmerkung: Es klingt wie "Alors, Guillome!", aber da Kevin antwortet, soll es wohl etwas anderes bedeuten.)

KEVIN (nach einer langen Pause, langsam): Ähm...Je pense...que...le...ich glaube/denke... daß...der...

(Eine Großaufnahme der Uhr, die über der Tür hängt. Der Minutenzeiger springt mit einem kurzen Klicken einen Strich weiter. Sofort gehen alle Köpfe nach rechts.)

LEHRERIN: Also dann - joyeux noël, wünsch ich euch.

(Fröhliche Weihnachten.)

INT. VORMITTAG. GANG
(Es klingelt. Auf den eben noch leeren, ruhigen Gang stürmen hunderte jauchzender Schüler. Kevin und Paul kommen um eine Ecke.)

KEVIN: Ich meine durchschnittlich!

PAUL: Socken und Unterhosen mitgerechnet?

KEVIN: Jährliche Gesamtmenge in Tonnen!

PAUL: Ach was! Ich habe gedacht, es geht um Qualität und nicht Quantität!

KEVIN: Also wirklich, Paul! Bei deinem ****fest kriegst du eine Woche lang jeden Tag Geschenke!

Wir beide stritten uns dauernd, wer nun zu seinem Fest mehr Geschenke kriegte. Paul's **** dauerte acht Tage - ich fand, er kam besser weg.

PAUL: Sehen wir's anders. Ich geb dir mal ein Beispiel: Was wünschst du dir zu Weihnachten am meisten?

KEVIN: Was soll denn diese Frage?

PAUL: Sag doch mal! Was wünschst du dir?

Was ich mir wünscht? Was mein Leben absolut perfekt machen würde?

(Kevin und Paul sind inzwischen bei ihren Schließfächern angekommen und dort stehengeblieben. Während Kevin nachdenkt, erblickt er Winnie, die in seine Richtung den Gang entlang läuft. Kevin sieht sie unentwegt an und das "Winnie-Thema" ertönt - bis Kirk McCray ihre Hand nimmt und sie ihn anlächelt. Enttäuscht dreht sich Kevin wieder zu Paul um.)

KEVIN: Einen Fernseher! Ich glaub, ich will einen Farbfernseher!

WINNIE (steht hinter ihm): Kevin?

Sie war allein. Sie hatte sich parfümiert.

KEVIN (hin und weg): Hallo!

WINNIE: Hallo! Das hier wollt' ich dir geben.

(sie gibt ihm ein kleines Schächtelchen.)

KEVIN: Was ist das?

WINNIE: Ein Weihnachtsgeschenk.

KEVIN: Natürlich. Klar, was sonst!

Am liebsten hätte ich es mit den Zähnen aufgerissen.

WINNIE: Aber nicht vor Weihnachten aufmachen! Okay?

KEVIN: Natürlich nicht.

ERZÄHLER: Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf, eine Million Fragen - eine Milliarde!

WINNIE: Tja, also dann...

ERZÄHLER: Warte! Halt sie auf! Halt sie auf!!

KEVIN (ruft): Äh, ich, ich hab auch was für dich!

Gut! Eine Lüge - aber eine gute Lüge!

KEVIN: Äh, ich, ähm...hab's nur nicht dabei.

WINNIE: Ach! Is' schon gut. Ist doch gar nicht nötig.

KEVIN: Wenn du willst, bring ich's dir nach Hause.

WINNIE: Okay.

KEVIN: Gut. Wir sehen uns dann.

(Winnie geht.)

Innerhalb weniger Sekunden hatte sich mein Leben in ein Fragezeichen verwandelt. Was hatte das zu bedeuten?

(Kevin sieht Winnie hinterher, die sich wieder zu diesem Kirk McCray gesellt.)

Was das eine Botschaft? Eins war jedenfalls sicher - Winnie Cooper hatte nie besser gerochen!

PAUL: Du träumst, Kevin!

KEVIN: Hä?

PAUL: Du kriegst nie einen Farbfernseher!

INT. TAG. ABEND
(Alle außer Wayne sind im Wohnzimmer. Jack paßt den Stamm des Weihnachtsbaums dem Ständer an.)

JACK: Hammer!

Vielleicht hatte Paul recht: Die große Farbfernseh-Kampagne war ins Stocken geraten; Dad blieb steinhart. Die Situation wurde immer verzweifelter. Wayne auch.

(Wayne kommt aus dem Flur ins Wohnzimmer.)

NORMA: Liebling, du hast doch wohl nicht etwa in den Schränken geschnüffelt?

JACK: Schraubenzieher!

KAREN: Seht mal, das kleine Vogelbauer! Da ist es ja!

(Karen und Norma lachen glücklich.)

Ach herrje! Die Weihnachtserinnerungen! Meine Familie triefte nur so davon.

NORMA: Wißt ihr, wer uns das geschenkt hat? Euer Onkel Mike. Er sagt, er denkt dabei immer an die einzige Frau, die er jemals geliebt hat.

JACK (ungerührt): Zange!

Ich haßte diese alten Geschichten. Dafür gab's auch einen Grund:

NORMA: Wißt ihr, woran ich dabei immer denke?

Hier war er auch schon:

NORMA: Die Schulaufführung, wo Kevin als kleiner Nikolaus aufgetreten ist!

(genervt): Ah!

KEVIN (peinlich berührt): Mom! Das wäre doch nun wirklich nicht nötig ge...

NORMA: Ja gut, aber du warst so süß! Wie eine kleine Watschelente kamst du hereingewackelt.

KAREN: Ja. Und beinahe hätte er auch noch die Hosen verloren!

Kannten denn diese Leute keine Gnade?!

(Kevin sieht gedemütigt von einem zum anderen, zuletzt zu Jack - und er lächelt!)

Moment mal! Hatte der grimmige Häuptling gerade gelächelt? Richtig gelächelt?! Wir hatten ihn ohne Deckung erwischt - das war unsere Chance! Mit der richtigen Kombination aus Takt und Geschick könnten wir eventuell...

WAYNE: Dad, kaufst du uns nun diesen Farbfernseher oder nicht?

(enttäuscht): Volltreffer!

JACK (lächelt nicht mehr): Welchen Fernseher?!

NORMA: Ach nichts, Schatz.

JACK: Welchen Fernseher?

NORMA: Wirklich! Gar keinen.

WAYNE: Mom hat gesagt, daß wir einen kaufen. Hast du doch, Mom?

Offenbar waren in Waynes Gehirn ein paar wichtige Windungen ausgefallen.

NORMA: Nein, so endgültig hab ich's nicht gesagt! Ich sagte nur, daß euer Vater und ich vielleicht...

WAYNE: Aber heute hat doch jeder so einen!

JACK (grummelt und seufzt): Fest steht, ich hätte auch gern so'n Fernseher. Fest steht, daß ich Farbfernsehen genauso gern mag wie jeder andere hier. (kurze Pause) Ich frage euch nur eins: Hat einer von euch auch nur die geringste Ahnung, wieviel so'n Ding kostet!?

(Betretenes Schweigen.)

KEVIN (platzt heraus): 469,95 ! Minus Skonto ! (leiser): Plus Steuer. Insgesamt 434.

Jetzt im Nachhinein glaube ich, es sollte wahrscheinlich eine rhetorische Frage sein.

INT. TAG. KEVIN'S ZIMMER
(Kevin und Wayne sitzen jeder auf seinem Bett. Karen sitzt auf einem kleinen Schränkchen oder einer Kommode oder etwas in der Art.)

WAYNE: Gut gemacht, blöder Sack!

KEVIN: Was, ich? Ich hab doch gar nichts gemacht!

WAYNE: Gut gemacht, blöder Sack!

Na ja - eben war man noch für alle der kleine Nikolaus und in der nächsten Sekunde ist man der große Verräter.

KAREN: Ihr Jungs müßt noch viel lernen. Habt ihr keine Ahnung von Psychologie?

Das aus dem Munde einer Frau, die Freuds Theorien aus dem Bildungsfernsehen kannte!

KAREN: Ihr dürft Dad nicht in die Ecke manövrieren! Er möchte uns den Fernseher kaufen, aber er möchte uns überraschen. Es ist komplex.

(steht auf und geht aus dem Zimmer.)

WAYNE: Gut gemacht, blöder Sack!

KEVIN: Du hast doch davon angefangen!

(Wayne seufzt und läßt sich auf's Bett fallen.)

Na gut, ich hatte alles versaut, ich wurde von allen ausgebuht - damit konnt' ich leben. Aber da draußen, auf der anderen Seite des Flurs...

JACK (draußen, ruhig): Ich kaufe keinen Fernseher, Norma! Daß können wir uns nicht leisten, auch wenn du...wenn sie das denken.

INT. ABEND. KÜCHE
NORMA: Tja, ich finde, wir könnten...

JACK: Ist ja nicht so, daß ich nicht hart arbeite. Ich tu was ich kann.

NORMA: Das weiß ich doch. (zögert) Nur...als ich den Fernseher da so stehen sah, da hab ich gesehen, wie unsere Kinder gestrahlt haben. Ich hab uns gesehen, wie wir fernsehen, die ganze Familie. Sie werden so schnell erwachsen, Jack. Karen geht bald aus dem Haus...Liebling, was soll's? Warum leisten wir ihn uns nicht einfach? Du brauchst mir auch dieses Jahr nichts zu schenken. Na und? - Dann essen wir einen Monat nur Hotdogs! Du weißt, es würde dir auch Freude machen.

INT. NACHT. KevinS ZIMMER
(Kevin liegt noch wach, während Wayne bereits schläft.)

Ich konnte nicht schlafen. Ich war ganz durcheinander! Warum konnte nicht alles einfach sein, so wie damals, in der sechsten Klasse?

KEVIN: Wayne! Bist du wach?

WAYNE (dreht sich um, grummelt etwas und ruft dann laut): Angela!

Es war alles ein Rätsel in einem Rätsel in einem Rätsel...

(Kevin sieht Winnie's Geschenk.)

In einer Schachtel. Ich mußte die Lösung finden. Junge! Weihnachten wimmelte nur so von Fußangeln.

INT. TAG. SUPERMARKT
(Die ganze Familie ist auf der Suche nach Geschenken.)

Noch zwei Einkaufsstunden bis Weihnachten. In meiner Familie ging der große Weihnachtseinkaufs-Endspurt los.

(Sie kommen an einigen Farbfernseher vorbei. Zur Zeit läuft gerade eine Trickfilmfassung von Charles Dickens' "Weihnachtsgeschichte".)

WAYNE (demonstrativ): Hey, was haben wir denn da! Was könnte das wohl sein! Sowas! Die sehen ja aus wie Farbfernseher!

(Jack blickt etwas genervt drein.)

Wenn Dad wirklich vorhatte, uns zu überraschen, dann bewundere ich noch heute seine schauspielerische Leistung.

EBENEEZER SCROOGE: Weihnachten? Ha, so ein Blödsinn!

(Später, in einem anderen Teil des Kaufhauses, sucht Kevin, begleitet von Paul ebenfalls nach Geschenken.)

Ich hatte meine eigenen Probleme - Ich mußte ein Geschenk für Winnie finden. Es mußte perfekt sein! Es mußte alles sagen, ohne viel zu sagen. - Und es mußte unter sechs Dollar kosten.

PAUL: Vielleicht ein Buch! Oder vielleicht ein Briefbeschwerer mit so 'ner Eistänzerin und so 'nem Schneezeug!

KEVIN: Leidest du unter Geschmacksverirrung?! Ich hasse sowas!

PAUL: Ich hab...meiner Mutter einen geschenkt. Ihr gefällt er.

KEVIN: Entschuldige.

PAUL: Schon gut.

Ein Kompromiß war nicht drin. Entweder ich fand das richtige Geschenk, oder ich konnte mich begraben lassen.

(Später. Kevin läßt sich von einer verkäuferin verschiedene Parfüms vorstellen. Paul steht mit einem Taschentuch neben ihm.)

KEVIN: Wie soll ich's Ihnen sagen ...

PAUL: Ich glaube, ich ersticke.

KEVIN: Was ich meine, riecht wie...Blätter...im Ozean...in der Nacht. Hätten Sie sowas in der Art?

(Die verkäuferin geht wortlos.)

PAUL: Schnappen wir uns ein Telefon! Winnie kann uns doch sagen, wie das Zeug heißt!

KEVIN: Das geht nicht.

PAUL: Wieso nicht? Wir könnten unsere Stimmen verstellen! Wir sagen, wir sind Parfümvertreter!

Paul konnte erstaunlich blöd sein, wenn es um Frauen ging. Aber er hatte ja mich, damit ich ihm sage, wo's lang geht.

KEVIN: Nein! Ich muß sie überraschen! Verstehst du, daß erwartet sie!

PAUL: Oh.

KEVIN: Das ist der eigentliche Grund, warum sie mir ein Geschenk macht: Nur, damit ich den nächsten Schritt mache!

PAUL (verstehend): Ah!

(Die verkäuferin kommt wieder und baut eine ganze Palette kleiner Fläschen vor Kevin auf. Während dieser sich einen Duft nach dem anderen vorführen läßt uns ablehnt, leidet Paul unter seiner Allergie und niest und schnaubt pausenlos. Schließlich, als Kevin skeptisch einen weiteren Duft begutachtet, erklingt wieder das "Winnie-Thema" - das perfekte Geschenk ist gefunden.)

PAUL: Eine Frage: Wieso willst du welches kaufen, wenn sie doch schon welches hat?

KEVIN (enttäuscht): Oh.

(Irgendwo anders. Eine Großaufnahme vom besagten Briefbeschwerer, den Kevin an der Kasse bezahlt.)

Na gut, es war nicht ganz das, was James Bond seiner **** geschenkt hätte, aber 007 mußte sich ja auch nicht mit 50 Cent Taschengeld die Woche über Wasser halten. Außerdem...

KEVIN: Tja, der gute Wille zählt.

Das mußte ich mir einreden - ich hatte ja keine Wahl.

EXT. ABEND. STRASSE
(Die Dunkelheit wird von der festlichen Beleuchtung aller Häuser in der Gegend zu beinahe taghellem Licht.)

Heiligabend. In Häusern überall auf der Welt würde bald ein uraltes Fest gefeiert werden, ein Fest der Freude und Harmonie - und der Familie.

INT. ABEND. WOHNZIMMER
(Wayne sitzt wenige Zentimeter vor dem Fernseher, Jack liest Zeitung und die anderen beschäftigten sich anderweitig, ohne auf Wayne oder den Film zu achten.)

WAYNE (monoton, fast gelangweilt): Hey, guckt mal - echt starker Wagen...Ich frage mich, welche Farbe der hat! Hey, wartet! Da ist ja der Ozean! Ist der orange? Nein, er ist vermutlich blau - aber weiß man das so genau?

KAREN: Wayne! Nicht ganz so laut!

An diesem Abend waren die Kittstellen nicht zu übersehen. Nur Mom gab sich noch alle Mühe, wie ein einsamer Feuerwehrmann bei einem Großbrand.

NORMA (fröhlich): Will jemand einen Eierflip? (übertönt den Lärm des Fernsehers) Lydia Hershmüller hat angerufen: Wir sollen das Weihnachtssingen bloß nicht vergessen! Ich hab ihr gesagt, wir kommen mit glockenhellen Stimmen!

(Im Fernsehen explodiert genau in diesem Moment irgendetwas - der Knall hallt durch das ganze Zimmer.)

KAREN (aufgebracht): Wayne! Nicht so laut!

Das gab einem zu Denken. Vielleicht wurde jeder Familie eine bestimmte Menge Weihnachtsstimmung zugeteilt - und wir waren in diesem Jahr leer ausgegangen.

WAYNE: Na sowas! Der Kerl ißt eine graue Banane!

NORMA (heiter): Wir müssen heute abend noch "Stille Nacht" singen!

Es war wirklich traurig. Einer mußte die Initiative ergreifen!

KEVIN: Hey, wißt ihr noch, wie ich damals als Nikolaus aufgetreten bin?

(Sein Versuch wird von den anderen Familienmitgliedern nur müde belächelt oder gar nicht erst beachtet.)

Ich hatte meinen größten Trumph ausgespielt - nichts!

WAYNE: Wenn wir Sonnenbrillen aufsetzen, dann können wir alles in schwarz-grün sehen!

Das war der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte.

(Wayne zieht sich eine Mütze über die Augen.)

WAYNE: Halt - ich sehe plötzlich grün, rosa, lila! Oh, das ist wirklich phantastisch! Ich sehe...

KAREN (schreit): Wayne! Gib es endlich auf! Wir kriegen keinen Fernseher! Das kannst du vergessen! (wütend) Also, ich gehe jetzt.

JACK: Moment, moment - eine Sekunde! Wo gehst du hin?

KAREN: Ich bin verabredet.

JACK: Was? Am Heiligen Abend?

KAREN: Wieso nicht?

NORMA: Dein Vater meint...

JACK: Karen, wir haben Heiligabend, und am Heiligen Abend wird nicht weggerannt! Wie ich das sage, so mein ich das auch.

(singt, ironisch): Oh du fröhliche...

KAREN: Ich gehe weg, Dad!

JACK: Niemand geht heute irgendwo hin! Wir bleiben alle schön hier!

(Karen geht in ihr Zimmer und knallt die Tür zu. Norma folgt ihr.)

EXT. ABEND. HAUS DER COOPERS
(Kevin kommt, mit seinem Geschenk in der Hand, den Weg zur Vordertür hoch und klingelt.)

Ich wußte nicht genau, was mich bei Winnie Cooper erwartete - aber ich konnte es mir gut vorstellen!

(Es beginnt zu schneien, als Winnie die Tür öffnet. Sie trägt ein kurzes, knallrotes Kleid. "White Christmas" beginnt.)

WINNIE (haucht): Hallo!

KEVIN (verzaubert): Hallo! (Pause) Ich hab ein Geschenk für dich.

WINNIE: Dann hast du meinen Wink verstanden? (umarmt ihn) Fröhliche Weihnachten, Schatz!

(Die Tür wird geöffnet. Kevin schreckt aus seiner Phantasie, die Musik endet abrupt und Kevin sieht eine ältere Frau, die haushälterin, die ihn fragend ansieht.)

HAUSHÄLTERIN: Ja?

Ach du Schande! Wer war die denn? Die hatte ich ja noch nie gesehen!

KEVIN: Äh, ist...Winnie vielleicht da?

HAUSHÄLTERIN: Nein. Kann ich was für dich tun?

KEVIN: Nein, schon...

HAUSHÄLTERIN: Du bist der Junge von nebenan, nicht ? Gwendolyn hat mir gesagt, du würdest vorbeikommen.

KEVIN: Ja, hat sie?

HAUSHÄLTERIN: Die Coopers sind über die Feiertage zu Verwandten gefahren - sie haben sich ganz spontan entschlossen. Sie hat wohl gedacht, daß würdest du verstehen.

Was verstehen? Daß alles sinnlos war? Daß Weihnachten ein Flop war? Daß meine Familie auseinanderbröckelte und...

HAUSHÄLTERIN (zögernd): Du...weißt von der Sache mit ihrem Bruder, oder? Brian?

KEVIN: Oh.

HAUSHÄLTERIN: Brian ist dieses Jahr...gefallen. In Vietnam.

KEVIN: Das weiß ich doch! Ja, das weiß ich! (leise) Ich hatte es nur...vergessen.

HAUSHÄLTERIN: Hier wollten sie nicht bleiben. In ein paar Tagen kommen sie wieder. Gute Nacht.

(schließt die Tür.)

In diesem Augenblick kam ich mir vor wie der größte Blödmann der Welt!

(Kevin klingelt noch einmal. Als die haushälterin öffnet, gibt er ihr das Geschenk.)

KEVIN (bedauernd): Eigentlich wollte ich ihr Parfüm schenken.

(Kevin geht langsam den Weg hinab zur Straße und sieht sich mehrmals um, als ob er auf jemanden warten würde. Schließlich wandert er allein, im Dunkeln, die Straße entlang, bis er bei einer Krippe ankommt. Norma, Jack, Karen und Wayne sind bereits da und singen.)

An dem Abend dachte ich über vieles nach. Über Winnie, über Brian, über meine Familie, darüber, wie vieles verloren geht, kaputt geht...

(Kevin gesellt sich zu seiner Familie und sie singen "Stille Nacht". Keiner scheint so richtig fröhlich zu sein. Alle sind eher etwas traurig, Wayne mißfällt das Weihnachtssingen offensichtlich sehr.)

Nur ein Wunder konnte das hier noch kippen.

(Kevin streckt die Handfläche nach oben und schaut zum Himmel.)

Und dann passierte es.

("Stille Nacht" ist zu Ende. Alle bleiben schweigend stehen.)

Es fing an...zu gießen!

(Ein kurzes Donnern, und es fängt im wahrsten Sinne des Wortes an zu gießen. Jack hat als einzigster eine Mütze auf, seine Familie steht nur da. Während alle anderen Familien schleunigst davonlaufen, bleiben sie stehen.)

Das Merkwürdige war: Dad blieb einfach stehen. Wir wollten alle losrennen, uns unterstellen, aber Dad stand einfach nur da. Also blieben wir auch stehen.

(Eine kurze Ewigkeit lang stehen sie alle im Regen, dann fängt Jack an zu lachen. Seine Familie, auch Wayne, stimmt mit ein.)

JACK (lachend): Warum geht ihr denn nicht?

WAYNE (lachend): Wir haben gewartet, daß du gehst!

JACK (lachend): Worauf wartet ihr noch!

INT. ABEND. KÜCHE
(Alle sitzen um den runden Küchentisch herum. Obwohl sie klitschnaß sind und sich erst einmal abtrocknen müssen, sind sie alle in bester Stimmung, lachen, amüsieren sich, haben Spaß. Die Kamera fährt langsam zurück.)

Ich weiß gar nicht mehr, was ich in diesem Jahr geschenkt bekommen habe, aber Dad schenkte Mom ein Armband, das sie einfach umgeworfen hat. Ach ja, und den Farbfernseher hat er uns auch gekauft - zwei Jahre später.

INT. ABEND. KEVIN'S ZIMMER
(Kevin sitzt allein im Raum und packt langsam, vorsichtig, Winnie's Geschenk aus.)

Für mich hörte Weihnachten in diesem Jahr auf, sich um Lametta und Geschenkpapier zu drehen. Viel wichtiger wurden Erinnerungen. Das war zuerst enttäuschend, bis ich lernte, daß man durch die Erinnerungen die Dinge festhalten kann, die man liebt, die einem alles bedeuten, Dinge, die man nie verlieren möchte. Ich lernte von Winnie, daß in einer Welt, die sich rasend schnell verändert, das Beste ist, was wir tun können, einander frohe Weihnachten zu wünschen und viel Glück.

(Kevin öffnet vorsichtig die kleine Schachtel. Darin liegt etwas, das viel sagt, ohne viel zu sagen: Ein vierblättriges Kleeblatt.)

CLOSING TITLES



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07/15/01 12:25