Folge 60: Der Stuhl des Grauens
Drehbuch: Mark B. Perry



OPENING TITLES
OPENING SEQUENCE
ERZÄHLER: Im Laufe unseres Lebens lernen wir eine Menge Leute kennen. Manche von ihnen gehen mit uns durch dick und dünn, manche kreuzen kurz unsere Wege und verschwinden dann wieder. Aber ab und zu gibt es dann doch jemanden, der einen bleibenden Platz in unserem Herzen verdient, jemanden wie ...

[Die Tür zum Sprecherzimmer öffnet sich und eine junge Frau kommt heraus. Sie lächelt KEVIN an, der im Wartezimmer sitzt.]

MISS HASENFUSS: Hi Kevin !

ERZÄHLER: ... Miss Hasenfuss, meine Zahnarzthelferin.

KEVIN: Hi, Miss Hasenfuss !

MISS HASENFUSS: Von mir aus kann's losgehen.

INT. TAG. SPRECHZIMMER
Kurz darauf sitzt KEVIN auf dem Zahnarztstuhl.

ERZÄHLER: Eigentlich war sie mehr als nur meine Zahnarzthelferin.

MISS HASENFUSS: Sag, putzt du immer ordentlich ?

KEVIN: Ja, und wie. Und zwar jeden Tag.

MISS HASENFUSS: Dann ist ja gut.

ERZÄHLER: Unsere Beziehung ging über die unteren Schneidezähne, die oberen Backenzähne und die Zahnseide hinaus: Sie war jemand, mit dem ich wirklich reden konnte.

[MISS HASENFUSS tastet mit einem Werkzeug KEVINs Zähne ab.]

KEVIN: [lallt] Geht es Ihnen gut ?

MISS HASENFUSS: Ich komme leider zu nichts. Geht's dir gut ?

KEVIN: [lallt] Na ja, es geht so.

MISS HASENFUSS: Aufmachen ...

ERZÄHLER: Sie duftete nach frischer Seife und Kräutershampoo und sagte immer genau die Dinge, die einem Mann das Gefühl gaben, ein Mann zu sein.

MISS HASENFUSS: ... ausspucken !

ERZÄHLER: Und obwohl wir uns nur zweimal im Jahr sahen, war ziemlich klar, daß uns etwas ... Besonderes verband.

[KEVIN spült sich mit einem Schluck Wasser den Mund aus und spuckt dann alles aus.]

MISS HASENFUSS: Jetzt nur noch eins: Sag "Cheese" !

KEVIN: Cheese !

[KEVIN läßt den Mund offen, während MISS HASENFUSS kurz hinter einer Wand verschwindet. Sie kommt wenige Sekunden später wieder hervor, schiebt den Greifarm mit dem Röntgenapparat von KEVINs Backe weg und nimmt ihm die Bleischürze ab.]

MISS HASENFUSS: Das war's. Wir werden das gleich dem Doktor zeigen. Aber - ich bin sicher, er wird nichts finden. Genau wie sonst.

ERZÄHLER: Aber erst wenn sie die Röntgenbilder gemacht und mir die Bleischürze abgenommen hatte, erwachte unsere Beziehung zum Leben.

[KEVIN klettert von dem Stuhl herunter. MISS HASENFUSS steht, die Hände hinter dem Rücken, vor einem Wandschrank.]

MISS HASENFUSS: Wie läuft's in der Schule ?

KEVIN: Großartig ! Ich mach dieses Jahr die Neunte zu Ende !

MISS HASENFUSS: Wirklich ? Das ist ja 'ne echte Leistung !

KEVIN: [geschmeichelt] Na ja, es geht so.

ERZÄHLER: Wir sprachen über alles, von Mann zu Frau und Frau zu Mann.

MISS HASENFUSS: Also - ich verrat dir jetzt ein Geheimnis, das noch niemand gehört hat. Aber ... versprichst du, daß du mich nicht auslachst ?

KEVIN: Äh, nein, das tu ich nicht. Äh, ich meine, ja, ich versprech's.

MISS HASENFUSS: Ich will irgendwann nochmal zur Schule, darum geht's.

KEVIN: Wirklich ?!

MISS HASENFUSS: Ich glaube schon. Diese Zahnreinigungsgeschichte ist so 'ne Art Sackgasse, du verstehst ?

KEVIN: Oh, oh natürlich !

MISS HASENFUSS: Aber Mut ... ist nicht meine große Stärke. Die vielen Tests ... schüchtern mich ein.

ERZÄHLER: Meine Güte, war die süß !

KEVIN: Ach wissen Sie, so schlimm sind Tests auch wieder nicht. Ich meine, ich hab sowas ständig. Das schaffen Sie ganz locker !

MISS HASENFUSS: Mmh, ist das wirklich dein Ernst ?

KEVIN: Klar ! Hundertprozentig ! Überhaupt keine Frage.

MISS HASENFUSS: Ich danke dir für dein Vertrauen, aber ich denke, ich habe einfach nicht genug Mut. Nicht so wie du.

ERZÄHLER: Da hatten wir's: Grenzenlose gegenseitige Bewunderung. Ich bewunderte sie wegen ihrer ...

[MISS HASENFUSS verschränkt ihre Arme nicht mehr hinter dem Rücken, sondern streckt KEVIN eine in Plastikfolie eingeschweißte Zahnbürste hin.]

MISS HASENFUSS: Hier ist die letzte blaue für dich.

ERZÄHLER: ... Zahnbürsten ...

KEVIN: Danke.

ERZÄHLER: ... und sie bewunderte mich wegen meines Mutes.

INT. TAG. KELLAR
KEVIN und PAUL sitzen auf der Couch vor dem laufenden Fernseher. RANDY Mitchell und DOUG Porter, der ein Furzkissen in den Händen hält, stehen um PAUL herum.

RANDY: Was ist mir dir ? Hast du Schiß ?

[DOUG drückt die Luft aus dem Kissen.]

ERZÄHLER: In der neunten Klasse ist Mut etwas Relatives.

PAUL: Nein, ich hab keinen Schiß ! Ich bin nur nicht verrückt.

RANDY: Er hat doch Schiß.

[DOUG und RANDY gackern wie aufgeschreckte Hühner und wedeln mit ihren Armen um PAUL herum.]

KEVIN: Kommt Jungs, hört schon auf ! Was soll das ?

RANDY: Wieso ? Er soll doch nur dieses blöde Dinge auf Mr. **** Stuhl in der Aula mogeln. Das wird ein Heuler !

PAUL: Na so witzig find ich's ja auch wieder nicht.

[DOUG und RANDY fangen wieder an zu gackern.]

KEVIN: Jungs, laßt ihn in Ruhe ! Wenn er's nicht tun will, dann will er's nicht tun !

PAUL: Ja.

RANDY: Okay - dann tust du es.

KEVIN: Wieso tust du's nicht ? Ist doch deine Idee !

[DOUG und RANDY sehen sich kurz an und beginnen dann wiederum zu gackern.]

ERZÄHLER: Mit 14 ist wahres Heldentum keine Frage von Logik, sondern vielmehr von völliger Blödheit.

KEVIN: Okay, dann tu ich's ! Aber ich sag euch, ihr seid nächstes Mal dran !

RANDY und DOUG: Is ja irre !

PAUL: Jungs, ihr seid echt nicht ganz dicht !

ERZÄHLER: [stolz] Mag sein, aber ich zog nunmal bei einer Herausforderung nicht gleich den Schwanz ein. Ich war ein Mann der Tat !

[WAYNE kommt die Treppe herunter.]

WAYNE: Hey Blödsack !

ERZÄHLER: [bedauernd] Ein Mann mit einem Bruder.

WAYNE: Hasenfuss hat angerufen.

ERZÄHLER: [freudig] Ein Mann, der von seiner Zahnarzthelferin angerufen wurde !

KEVIN: Ach echt ? Was hat sie gesagt ?

WAYNE: Seh ich vielleicht aus wie deine Sekretärin ?! Sie sagt, sie möchte dich gerne heute noch sehen.

ERZÄHLER: Da mein nächster Zahnarzttermin erst in sechs Monaten fällig war, konnte das nur eins bedeuten: ...

[WAYNE setzt sich neben PAUL - und genau auf das Furzkissen. Die Jungen lachen. WAYNE lacht kurz mit, allerdings nur eher wütend, und rammt PAUL den Ellenbogen in die Seite.]

ERZÄHLER: Es mußte etwas Persönliches sein.

INT. TAG. WARTEZIMMER
KEVIN reißt die Tür des Wartezimmers auf und stürmt herein. MISS HASENFUSS sitzt an einem Schreibtisch.

MISS HASENFUSS: Meine Güte, das ging aber schnell !

KEVIN: Oh, ich war g'rad zufällig in der Nähe.

[KEVIN tritt an den Schreibtisch heran, stützt sich lässig auf und sagt im Tonfall eines Charmeurs:]

KEVIN: Sie wollten ... mich sprechen ?

MISS HASENFUSS: [überlegt kurz] Kevin ... ich hätte dir was Wichtiges zu sagen. Ich weiß aber nicht genau, wie du darauf reagierst.

ERZÄHLER: Ich auch nicht. Aber als ich dort stand, gingen mir unendlich viele Möglichkeiten durch den Kopf.

KEVIN: [erwartungsvoll] Was ist es denn ?

MISS HASENFUSS: [kurze Pause, dann schmerzvoll] Du hast ein Loch im Zahn. [Pause; ermunternd] Geh gleich rein zu Dr. Tucker !

INT. TAG. SPRECHZIMMER
Wieder liegt KEVIN auf dem Zahnarztstuhl. Der Raum um ihn herum ist abgedunkelt, und im nächsten Augenblick erscheint ein Schwenkarm über ihm und grelles Neonlicht blendet ihn. DR. TUCKER beugt sich über ihn.

DR. TUCKER: Okay ! Sehen wir uns den jungen Freund an. Aufmachen ! [KEVIN gehorcht] Zange ! [MISS HASENFUSS reicht sie ihm] Danke schön. [zu KEVIN] Weiter auf ! [untersucht KEVINs Zähne; nach einigen Sekunden] Hasenfuss, sehen Sie das ?

[MISS HASENFUSS beugt sich ebenfalls über ihn.]

DR. TUCKER: Das dacht ich mir: Karies. Unterer zweiter Prämolar - ein fettes Loch !

Anmerkung: Gemeint ist der zweite Backenzahn von hinten, untere Zahnreihe, rechte Backe.

ERZÄHLER: Um das mal kurz zu erklären: Ich hatte bis dahin noch nie ein Loch im Zahn gehabt. Trotzdem sagte ich mir: Wenn Miss Hasenfuss auf mich aufpaßte, konnte es ja so schlimm nicht werden. Oder ?

[MR. TUCKER setzt den Bohrer an, ein grauenvolles, lautes Sirren ertönt und KEVIN schreit auf. Die Kamera zeigt von unten, wie er langsam, mit ausgestreckten Armen und Beinen, immernoch schreiend und die Augen weit aufgerissen bewegungslos zur Decke hinauf schwebt und an den Deckenplatten liegenbleibt. DR. TUCKER und MISS HASENFUSS sehen milde lächelnd zu ihm hinauf. - Plötzlich hört das Sirren auf und KEVIN findet sich wieder auf dem Stuhl wieder, mit einem weißen Tuch unter dem Kinn und DR. TUCKER über ihn gebeugt.]

DR. TUCKER: Oh, tat uns das so weh ?

KEVIN: [ängstlich, kleinlaut] Ja.

ERZÄHLER: [nachdenklich] Mmh.

DR. TUCKER: Gut.

[DR. TUCKER verschwindet aus dem Bild und MISS HASENFUSS beugt sich über KEVIN.]

MISS HASENFUSS: [besorgt] Kevin, sag schon, wie geht's dir ?

ERZÄHLER: Natürlich ging es mir grauenvoll, aber andererseits hatte ich auch ein Image zu verteidigen.

KEVIN: [mit schmerzverzerrtem Gesicht, in dessen Backen immernoch Stoff steckt] Gut, danke ! Es ist alles ... bestens ! Ich, ich hatte nur 'nen Krampf - oder so 'ne Art Reißen ... in beiden Knien ...

MISS HASENFUSS: Du hast das sehr tapfer durchgestanden. Du bist viel tapferer als ich ! Das Loch hat furchtbar ausgesehen. Ich wäre wahrscheinlich sofort an die Decke gegangen.

KEVIN: Ach ! Das war doch gar nichts !

ERZÄHLER: Schließlich war dieses Lächeln Lohn genug für ein paar Sekunden Schmerz. Besonders jetzt, nachdem alles vorbei war.

DR. TUCKER: Mach einen Termin, bevor du gehst !

KEVIN: Einen Termin machen !?

DR. TUCKER: Natürlich ! Dachtest du, daß das Ding kleiner wird ?! Wir werden es aufbohren und zumachen ! [lacht kurz] Aufschreiben, Hasenfuss ! Der nächste ?

ERZÄHLER: Sollte das ein kleiner Scherz sein ? Mich würde er im Leben nicht mehr sehen !

MISS HASENFUSS: Wäre dieser Mittwoch in Ordnung ?

KEVIN: Bestens !

INT. TAG. KÜCHE
NORMA steht am Spülbecken.

NORMA: Ein Loch ? Oh Schatz, das tut mir leid.

ERZÄHLER: Und mir tat es erstmal leid !

NORMA: Aber dafür gibt es ja schließlich Zahnärzte, oder ? Und bei Dr. Tucker bist du in guten Händen - du wirst schon sehen.

KEVIN: [ironisch] Danke, Mom !

ERZÄHLER: Ich machte mir ja auch keine Gedanken um Dr. Tucker - ich wollte nur nicht vor Miss Hasenfuss wie ein schlotternder Feigling dastehen.

[WAYNE kommt in die Küche, holt eine Tüte aus dem Kühlschrank und trinkt daraus. Er rülpst kurz. Inzwischen hat sich KEVIN an den Tisch gesetzt.]

ERZÄHLER: Es war an der Zeit, den Großmeister des Zahnverfalls persönlich um Rat zu bitten.

KEVIN: Wayne ? Du gehst doch oft zu Dr. Tucker, oder ?

WAYNE: Das geht dich einen feuchten Dreck an.

KEVIN: Also, wenn du dort hingehst und, äh, na ja, eine Füllung machst - tut das weh ?

WAYNE: [freundlich] Nee. Er gibt dir Novocain.

ERZÄHLER: Natürlich ! Novocain !

KEVIN: Und das wirkt auch ?

WAYNE: Natürlich. Du spürst nicht das geringste. [kurze Pause] Wenn du die Nadel überstanden hast. [schüttelt sich]

KEVIN: Welche Nadel ?

WAYNE: Die supergroße - sie hat ungefähr Telefonmastgröße. Der Kerl rammt dir das Ding voll in den Gaumen ! [leise, furchteinflößend] Dann hörst du nur noch Geräusche: Cronch ! Krach ! Wwwww ! Dann spürst du, wie überall Zahnstücke rumfliegen, ganz zu schweigen von dem unglaublich abartigen Gestank ! Du mußt aufpassen, daß es dir nicht das Frühstück raushaut ! [kurze Pause, wieder freundlich] Aber abgesehen davon - ist es wirklich locker.

ERZÄHLER: Dieser Typ - was für ein Witzbold !

INT. TAG. SPRECHZIMMER
Zurück in der Praxis ...

MISS HASENFUSS: Sind wir bereit ?

KEVIN: [ängstlich] Ich denke schon.

[Plötzlich erblickt KEVIN DR. TUCKER, der eine riesige Kettensäge in der Hand hält. Bedrohliche Musik beginnt, als er sie einschaltet, als KEVIN die ganzen Werkzeuge aufgereit vor sich liegen sieht ...]

DR. TUCKER: Schön weit aufmachen ! [lacht] Unter Umständen stinkt es gleich etwas. Huhuhu !

[KEVIN windet sich auf dem Zahnarztstuhl hin- und her, kann aber nicht fliehen. Er ist mit einer Eisenkette an den Stuhl gefesselt, und DR. TUCKER kommt immer näher, bis er die Kettensäge genau vor KEVINs Gesicht hält.]

KEVIN: [schreit] Hilfe ! Helft mir !

DR. TUCKER: Oh ! Tut das etwas schon weh ?! [lacht schallend]

KEVIN: Miss Hasenfuss !!

[Er erblickt MISS HASENFUSS, die im Türrahmen steht. Sie trägt ein langes, golden glitzernes Kleid auch raucht genüßlich eine Zigarette.]

MISS HASENFUSS: [abfällig] Und ich dachte, daß du ein Mann mit Courage wärst !

[Die Musik endet abrupt, als KEVIN hochschreckt und sich in seinem Bett wiederfindet, immernoch außer Atem, vor Angst keuchend und schwitzend.]

INT. TAG. WARTEZIMMER
ERZÄHLER: Glücklicherweise hatte ich meine Angst am nächsten Tag ziemlich gut unter Kontrolle.

[KEVIN sitzt allein im Wartezimmer. Er blättert hastig in einer Zeitung, ohne sie jedoch zu lesen, und starrt unentwegt auf einen Punkt an der Wand.]

MISS HASENFUSS: [kommt herein] Hallo Kevin ! Kann's losgehen ?

KEVIN: Ah - ich denke schon.

ERZÄHLER: Es gab ja auch nichts, worüber man sich Sorgen machen mußte. Es war bloß eine einfache, kleine Füllung.

KEVIN: Miss Hasenfuss ...

MISS HASENFUSS: Stimmt irgendwas nicht ?

KEVIN: Nicht doch ! Die Sache ist die, äh ...

ERZÄHLER: Wem wollte ich etwas vormachen ? Ich mußte es ihr sagen, zugeben, daß ich Angst hatte. Vielleicht würde sie mich wegen meiner Ehrlichkeit bewundern.

KEVIN: Es ist so, äh ... [denkt nach] Äh, wir hatten ein Feuer !

MISS HASENFUSS: [verdutzt] Ein Feuer ?!

KEVIN: Ja ! Ja, bei uns zu Hause. Ich muß gleich los.

MISS HASENFUSS: [besorgt] Es wurde doch niemand verletzt ?

KEVIN: Oh nein ! Es wurde niemand verletzt. Ich will jetzt nur nach Hause. [läuft rückwärts zur Tür und fällt beinahe über einen Mülleimer] Äh, sofort. [öffnet die Tür und stürmt hinaus]

ERZÄHLER: Na bitte ! Das war doch eine heiße Ausrede !

INT. TAG. WOHNZIMMER
KEVIN und JACK sitzen auf der Couch und sehen fern. Auf dem Schwarz-Weiß-Bildschirm stehen einige Männer hinter einem Gitter.

MANN #1: [im TV] Das war bestimmt ****.

MANN #2: [im TV] Kann schon sein. Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll.

ERZÄHLER: Am Abend des großen Zahnarztpraxis-Ausbruchs mußte ich der ernüchternden Wahrheit ins Auge sehen.

MANN #2: [im TV] Hast du Angst, Kleiner ?

MANN #1: [im TV] Ich frage mich, ob wir das durchstehen. Ich meine, bis zum Ende.

ERZÄHLER: Ich war angesichts der Schlacht desertiert. In Miss Hasenfuss' Augen war ich ... ein Feigling !

MANN #1: [im TV] Es ist die Furcht vor der Furcht selbst - die macht mir die größte Angst.

MANN #2: [im TV] Du weißt, was der alte Mann zu dir gesagt hat: ...

ERZÄHLER: Ich war meiner stolzen Herkunft nicht würdig !

KEVIN: Dad ?

JACK: Mmh ?

MANN #2: [im TV] ... die Familie, die zu Hause auf einen wartet ...

KEVIN: Du warst doch mal im Krieg ?

MANN #2: [im TV] ... Das ist nichts, dessen man sich schämen müßte.

JACK: Ja. Ich war im Krieg.

KEVIN: Und hattest du Angst ?

JACK: Na ja - das war keine Frage der Angst. Wir hatten eine Aufgabe - nur das zählte.

MANN #2: [im TV] Furcht hat nichts mit Feigheit zu tun. Ein Mann ist nur dann feige, wenn er sich in seiner Furcht aufgibt.

JACK: Wenn du draußen im Schützengraben liegst, Qualm in deine Nase steigt und dir immerzu Kugeln um die Ohren schwirren wie riesige Fliegen, dann kommst du gar nicht dazu, Angst zu haben.

ERZÄHLER: Und da durchzuckte es mich: Wenn mein Vater so tapfer war, dann steckte das vielleicht auch in mir - irgendwo tief in meinem Inneren.

JACK: Nur wenn ich an eins denke, hab ich die Hosen gestrichen voll.

KEVIN: Und was ist das ?

JACK: Der Zahnarzt !

INT. TAG. SUPERMARKT
KEVIN begleitet NORMA beim Einkauf.

ERZÄHLER: Mir blieb nur noch eins: Ich versteckte mich unter einkaufenden Frauen.

[KEVIN befühlt seine rechte Backe.]

NORMA: Schatz, ist irgendwas los ?

KEVIN: Nein. Nichts.

NORMA: Oh, dein Zahn ist schuld daran, nicht ?

KEVIN: Nein ! Es ist - es ist gar nichts, wirklich !

NORMA: Ach, äh, wie lange wird es dauern, bis Dr. Tucker sich von seinem Skiunfall erholt hat ?

ERZÄHLER: Mmh, an welch seidenem Faden wir spinnen ...

KEVIN: Mom, ich hol noch etwas ...

ERZÄHLER: Butter !

KEVIN: ... Butter !

ERZÄHLER: Seien wir ehrlich: Ich war ein Mann auf der Flucht, auf der Flucht vor meiner Angst, vor Demütigungen, auf der Flucht vor ...

MISS HASENFUSS: Kevin ! Hi !

ERZÄHLER: ... Hasenfuss !

KEVIN: Äh ...

[NORMA kommt hinzu und KEVIN findet sich zwischen zwei Einkaufswagen in einem zu schmalen Gang wieder.]

NORMA: Oh, Jennifer ! Tag !

MISS HASENFUSS: Mrs. Arnold ! Hallo !

ERZÄHLER: Ach du Schande ! Sie kamen auf mich zu ! Die Frau, die ich angelogen hatte, und die Frau, die ich angelogen hatte - das Beil und der Richtblock.

NORMA: Geht es Ihnen gut ?

MISS HASENFUSS: Und wie ! Ihnen auch ?

NORMA: Natürlich ! [sieht in MISS HASENFUSS' Einkaufswagen] So ein Haufen Bücher !

MISS HASENFUSS: Ja, ich bin gerade dabei, ein paar Sachen durchzuarbeiten, weil ich eventuell nochmal zur Schule möchte. Aber ich weiß nicht ... Kevin redet mir immer gut zu - nicht, Kevin? -, aber ... ich fürchte, ich bin nicht so tapfer wie er.

ERZÄHLER: Au !

MISS HASENFUSS: Ich würde gern noch etwas plaudern, aber ich muß in die Praxis zurück !

ERZÄHLER: Oh oh !

NORMA: In Dr. Tuckers Praxis ?

ERZÄHLER: Ich saß in der Falle ! Wie die Ratte nach dem Skiunfall !

NORMA: Aber ich dachte ...

KEVIN: Mom ?

ERZÄHLER: Es war Zeit für einen intelligenten und kreativen Einfall.

KEVIN: Ah, sie, sie muß in die Praxis zurück und, äh - weißt du, was auf den Straßen los ist ? Von den Schlangen an den Kassen ganz zu schweigen.

NORMA: Oh. Wissen Sie, ich glaube, wir müssen wirklich los. Ich bin sicher, wir laufen uns wieder über den Weg.

ERZÄHLER: [atmet auf] Ich hatte mich da rausgewunden, war frei wie ein Vogel.

MISS HASENFUSS: Ach Kevin, wir dürfen nicht vergessen, einen neuen Termin zu machen ! [zu NORMA] Und es tut mir so leid wegen des Feuers ! [geht]

NORMA: Feuer ??

EXT. TAG. PRAXIS
KEVIN fährt mit seinem Fahrrad zu DR. TUCKERs Praxis. Dessen Auto, ein rotes Cabriolet, steht in einer Nebenstraße.

ERZÄHLER: Bekanntlich scheitern alle großen Ideen an den Leuten - besonders an den Müttern von Leuten. Nun gab es keinen Aufschub mehr: Entweder, ich handelte jetzt, oder ich würde auf dem Stuhl enden.

[DR. TUCKER geht, mit einer Tasche Golfschläger über den Schultern, ein Lied vor sich hin summend, zu seinem Wagen. KEVIN spricht ihn an.]

KEVIN: Dr. Tucker ?

[DR. TUCKER mustert ihn überrascht, reagiert aber ansonsten nicht.]

KEVIN: Ich bin Kevin Arnold. Ihr Patient !

DR. TRUCKER: Ist das ein Notfall ?

KEVIN: Sowas in der Art. Es geht um einen Termin für mich.

DR. TRUCKER: Gut. Sprich mit Hasenfuss - sie macht die Termine.

KEVIN: Ja, eben. Das ist ja das Problem. Sehen Sie, ich wollte fragen, ob es möglich ist, daß jemand anders assistiert.

DR. TRUCKER: Was stimmt nicht an Hasenfuss ?

KEVIN: Ähm, gar nichts ! Sie ist toll ! Sie ist echt klasse ! Na ja, mir wäre nur jemand anders lieber, das ist alles.

DR. TUCKER: Dienstags hat sie frei. Komm doch einfach so um vier herum.

KEVIN: Danke.

DR. TUCKER: Der Patient ist König. [lacht kurz und arrogant]

ERZÄHLER: Ich hatte es geschafft. Ich war nochmal davon gekommen.

KEVIN: Doktor Tucker ? Das bleibt doch unter uns, daß ich jemand anders wollte ?

[DR. TUCKER zieht die Augenbrauen hoch und blickt in KEVINs Richtung. Als KEVIN sich umdreht, sieht er, daß MISS HASENFUSS hinter ihm steht.]

MISS HASENFUSS: Herr Doktor, ich wollte Ihnen bloß noch sagen, daß Sie morgen um neun einen Termin haben.

[DR. TUCKER nickt kurz, steigt in seinen Wagen und fährt los.]

MISS HASENFUSS: [traurig] Ich geh dann mal wieder an die Arbeit. [läßt KEVIN allein stehen]

INT. TAG. KüCHE
Die ganze Familie Arnold sitzt am Küchentisch und ißt.

ERZÄHLER: In den paar Tagen darauf stand ich irgendwie etwas neben mir. Vielleicht lag es an meinem Zahn, vielleicht aber auch an etwas anderem.

INT. TAG. WARTEZIMMER
KEVIN sitzt neben einem zweiten Jungen im Wartezimmer.

ERZÄHLER: Ich wußte nur eins: ...

[Die Tür wird geöffnet und eine alte, fette SCHWESTER kommt heraus.]

SCHWESTER: Kevin Arnold ?

KEVIN: Hier.

ERZÄHLER: Mundhygiene würde nie wieder dasselbe sein.

SCHWESTER: Ich bin bereit für dich, Junge !

[KEVIN und der zweite Junge werfen sich einen bedauernden Blick zu. KEVIN folgt der SCHWESTER und kommt an einer offenen Tür vorbei. In dem Raum sieht er MISS HASENFUSS, die Blumen gießt.]

ERZÄHLER: Das komische war: Obwohl ich wußte, daß Miss Hasenfuss nicht kommen würde, sah ich sie beinahe vor mir, in dem Zimmer, wo wir unsere Hoffnungen und Träume miteinander geteilt hatten ...

MISS HASENFUSS: [erblickt KEVIN; gut gelaunt] Kevin ! Hi !

KEVIN: Sie sind wirklich hier ?

MISS HASENFUSS: Kriegst du heute deine Füllung ?

KEVIN: Ja ! [kommt näher]

MISS HASENFUSS: Gut ! Das solltest du auch nicht schleifen lassen.

KEVIN: Hören Sie, Miss Hasenfuss ...

MISS HASENFUSS: Ich höre auf deinen Rat ! Ich werde hier weggehen.

KEVIN: Was ?!

ERZÄHLER: Ich konnte doch nicht ahnen, daß sie sich das so zu Herzen nehmen würde !

KEVIN: Wieso denn ?

MISS HASENFUSS: Ich geh wieder täglich zur Schule - darum. Ich hoffe, ich werde Zahnärztin. Ich dachte mir, vielleicht für Kinder. Ich meine, [lacht] eines Tages muß man es ja wagen !

[Sie läßt einen leeren Blumentopf fallen. Sie bückt sich, KEVIN ebenfalls. Einige Zeit sehen sie sich schweigend an.]

MISS HASENFUSS: [leise] Irgendwie bin ich nervös. [lange Pause]

KEVIN: [leise, beruhigend] Das machen Sie sicher phantastisch ! [lange Pause] Hey, ich komm mit meinen Kindern zu Ihnen !

MISS HASENFUSS: [lächelt] Versprochen ?

ERZÄHLER: Und in diesem Moment lernte ich etwas über Angst und Mut: Wenn diese Frau mutig genug war, das Leben bei den Hörnern zu packen, dann konnte ich das vielleicht auch.

KEVIN: Miss Hasenfuss... Ich, ich krieg eine Füllung. Ähm, würden Sie assistieren ?

INT. TAG. SPRECHZIMMER
KEVIN liegt auf dem Stuhl und wird behandelt.

ERZÄHLER: Letztendlich war dieser Termin halb so schlimm. Irgendwie war es sogar eine schöne Art, auf Wiedersehen zu sagen. Vielleicht lag es nur an dem Novocaine, daß durch meinen 98 Pfund schweren Körper strömte, aber ich hätte schwören können, daß Miss Hasenfuss Tränen in den Augen hatte. Und als alles vorbei war, gab es nichts mehr zu sagen außer ...

MISS HASENFUSS: [leise, trauernd] Vergiß nicht zu putzen !

KEVIN: [mit Watte im Mund] Sie auch nicht !

EXT. TAG. PRAXIS
KEVIN kommt aus dem Haus und geht zu seinem Fahrrad.

ERZÄHLER: Seit diesem Tag hab ich Miss Hasenfuss nie wieder gesehen, aber ich glaube trotzdem, daß ihr diese Füllung genauso viel bedeutet hat wie mir. Es ist komisch, aber ich kann es mir selbst heute, wenn ich an einer Zahnarztpraxis vorbei gehe, nicht verkneifen, ihren Namen zu suchen - und an sie zu denken.

[KEVIN fährt los. Die Kamera folgt ihm nicht.]

ERZÄHLER: Gute Nacht, Miss Hasenfuss - wo immer Sie auch sein mögen !

CLOSING TITLES
Dieses Transcript wurde von Daniel G geschrieben.



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09/10/01 19:50